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    Ein dubioses Tauschgeschäft

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    2017 realisierte das Ehepaar Huang Ji und Ryuji Otsuka mit „The Foolish Bird“ ihr erstes gemeinsames filmisches Werk. Der Film, der sich rund um eine Teenagerin namens Lynn dreht, die von der jungen Schauspielerin Yao Honggui dargestellt wird, erhielt nun ein loses Nachfolgewerk: „Stonewalling“ teilt mit „The Foolish Bird“ zwar den Namen seiner Protagonistin sowie deren Schauspielerin, grundsätzlich stehen die jeweiligen Filme allerdings jeder für sich allein. Gedreht wurde in Huangs Geburtsland China, wo das Gesellschaftsdrama auch spielt; als Produktionsland des Films dient allerdings Japan, da der in Tokio geborene Otsuka neben seiner Tätigkeit als Regisseur, Editor und Kameramann nämlich auch als Produzent des Films tätig war. Huang diente als zweite Regisseurin und schrieb das Drehbuch.

    Die 20-jährige Lynn (Yao Honggui) arbeitet neben ihrer Ausbildung zur Stewardess als Hostess und versucht sich dabei mit verschiedenen Jobs über Wasser zu halten. Ihr wohlhabender und fordernder Freund bringt sie außerdem dazu, einen von ihm bezahlten Englischkurs zu besuchen, an dem Lynn nur widerwillig teilnimmt. Als sie eines Tages ungewollt schwanger wird, sieht sie nur einen Ausweg: Sie verhandelt mit einer Familie, die die Praxis von Lynns Eltern aufgrund einer Totgeburt auf Schmerzensgeld verklagt und will ihnen stattdessen ihr ungeborenes Kind überlassen.

    „Stonewalling“ nimmt sich dem Thema Mutterschaft auf besondere Art und Weise an: Abtreibung und Menschenhandel scheinen die Leitmotive des soziopolitischen Dramas zu sein, was gerade im Hinblick auf Chinas Ein-Kind-Politik (die mittlerweile auf drei Kinder gelockert wurde) eine besondere Brisanz erhält. Im Angesicht dessen ist es nicht überraschend, dass dabei kapitalistische Tendenzen und bestimmte Familiendynamiken im Fokus stehen, deren Ursprung in der Realität verankert zu sein scheint.

    Die Regisseur*innen wählten dafür einen äußerst naturalistischen Zugang, der unter anderem auch vom Mitwirken von Huangs Eltern unterstrichen wird, die in „Stonewalling“ die Eltern der Protagonistin spielen. Auch die Stilistik des Films schlägt eine realitätsnahe Richtung ein, die manchmal fast schon an die dokumentarische Form erinnert. Gleichzeitig erhält das Gezeigte aber auch eine Art mystischen Schleier, der vor allem durch das Production Design evoziert wird und wodurch manche Elemente der Handlung einen geradezu träumerischen Charakter erhalten. Otsukas nuancierte Kameraarbeit unterstreicht dies zusätzlich, vor allem dann, wenn der Fokus auf der Offenlegung der Innenleben der Figuren liegt.

    Die Hauptdarstellerin Yao Hunggui stellt dabei das Zentrum des Films dar, die die Figur der Lynn äußerst zurückhaltend verkörpert. Ständig begleiten wird die Protagonistin in ihrem Alltagsleben, welches vor allem von beruflichen und familiären Beschwernissen geprägt ist. Bei einer Laufzeit von circa zweieinhalb Stunden wirkt das schon ziemlich ermüdend, gerade auch aufgrund der Dichte an Melancholie und Tristesse. Gedanklich sollte man hier keineswegs abschalten, da die Inszenierung gesellschaftspolitischer Problematiken auf so subtile Art und Weise erfolgt, dass man oftmals zwischen den Zeilen lesen muss.

    „Stonewalling“ ist ein sehr ruhiger Film, den man aufgrund seines langsamen Pacings in die Kategorie des Slow Cinemas einordnen kann. Er hält seine Protagonistin stets auf Distanz, was eine Einfühlung oder Identifikation schwierig macht. Letztendlich hätten die verschiedenen Handlungselemente besser komprimiert werden können, um die Erzählstruktur flüssiger zu gestalten. Huang und Otsuka liefern aber nichtsdestotrotz eine interessante Charakterstudie, die sinnbildlich für eine ganze Gesellschaftsgruppe steht. Man darf gespannt sein, ob die Protagonistin ihres nächsten Films wieder eine von Yao Honggui dargestellte Lynn sein wird – und wohin sie die filmische Reise dieses Mal führt.
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    16.12.2022
    21:20 Uhr