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    Der Zweck heiligt die Mittel

    Das älteste Gewerbe der Welt gibt es immer noch, und zwar überall. Das wird es so lange geben, solange es Männer gibt. Denn Männer haben einen Sexualtrieb, dem sie nachgehen müssen. Da lässt sich noch so beschämt in die Runde blicken – die Natur gibt, was sie eben gibt, um die Art des Homo sapiens zu erhalten. Wohin also mit den Trieben? Genau deshalb gibt es die Prostitution, es ist ein Knochenjob, es ist weder erquickend für die, die es anbieten, noch sinnlich oder befriedigend. Es ist körperliche Arbeit, es ist Erduldung und Erniedrigung, für die letztendlich etwas Geld rausspringt, damit der entbehrliche Alltag noch finanziert werden kann. Prostitution entsteht aus sozialer Not und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Männer wie Saeed Hanaei, beseelt durch den heiligen Imam Reza, hätte diesen Frauen in der heiligen Stadt Maschhad durchaus einfach nur das Geld geben brauchen, damit sie nicht anschaffen müssen. Er hätte sie vielleicht auffangen, woanders hin vermitteln können. Saeed ist schließlich niemand ohne Kontakte. Doch der Humanismus ist solchen Leuten suspekt. Sie sehen nur die Symptome, die da sind: sich für Geld zum Sex anzubieten.

    Das macht Männer wie Saeed Hanaei wütend, vielleicht auch aus verstecktem Selbsthass und der Ohnmacht, ein Mann zu sein, dessen Geschlechtsgenossen dieses Gewerbe überhaupt am Laufen halten. Also wählt der verheiratete Zimmermann und Vater zweier Kinder die so grausame wie plumpe Methode, um seine Heimatstadt vor dem Verfall der Sitten zu bewahren: er bringt die Frauen eine nach der anderen um. Lädt sie zuerst zu sich nachhause ein, um sie dann zu strangulieren und die Leichen wegzuschaffen, an irgendeinen anderen Ort, um nicht in Verbindung damit gebracht zu werden.

    Dieser als Spinnenmörder Anfang der 2000er Jahre berüchtigte Verbrecher hat tatsächlich so gewütet – und war sich bis zuletzt keinerlei Schuld bewusst. Um den Fall zu untersuchen, reist die (fiktive) junge Journalistin Arezu Rahimi an den Ort des Verbrechens, um dem Mörder auf die Spur zu kommen. Sie interviewt die Polizei, sie folgt den Aussagen von Zeugen und geht sogar, in Ermangelung investigativer Erfolge, sogar so weit, sich selbst als Prostituierte auszugeben, um Saeed inflagranti zu erwischen. Letzten Endes wird ihr das auch gelingen, trotz subversiven Widerstandes und den Einschüchterungen der örtlichen Polizei. Es wäre womöglich kein muslimisches Land, würde der Sinn für Recht und Unrecht klar unterschieden, Saeed verurteilt und seiner Strafe zugeführt werden. Hier, in einem Land, in welchem das lockere Tragen eines Kopftuches für Frauen gefährlich werden kann, wo Frauen nicht alleine reisen oder überhaupt frei agieren können, ohne die so strafenden wie lüsternen Blicke der Männer auf sich zu ziehen, herrscht eine verkehrte moralische Welt, die mit zweierlei Maß misst und die Tötung von Menschenleben umjubelten Vororte-Jihads gleichsetzt, die das nötige Prestige einbringen.

    Ali Abbasi, ein nach Dänemark ausgewanderter iranischer Filmemacher, der zuletzt mit dem skandinavischen Fantasy- und Mythendrama Border für Aufsehen sorgte, begibt sich nun wieder zurück an den Ursprung – und zwar in den zumindest im Film dargestellten Iran (gedreht wurde tatsächlich in Jordanien), um anhand dieses True Crime-Szenarios die viel zu hemmungslos nutzbaren Mechanismen der Ermordung anderer zu erörtern, die den heiligen Lehren zuwiderlaufen. Wie bei Hanekes Das weiße Band, wo die Ursprünge des Faschismus einer Wurzelbehandlung unterzogen wurden, wühlt Abbasi mit Leichtigkeit im vertrockneten Sumpf der Moralvorstellungen Strenggläubiger herum und sieht bereits in deren Nachwuchs das nächste Problem. Da ist es fast schon egal, ob es gegen die Sitte oder den Unglauben geht. Die Bereitschaft, den Islam reinzuhalten, duldet radikale Mittel. Und so staunt man als Zuseher nicht schlecht, und es wird einem seltsam anders zumute, wenn der sechzehnfache Mörder als Held gefeiert wird. Holy Spider zeichnet eine kranke, vor allem frauenfeindliche Welt, die schon in den ersten Szenen des Films ihre Ablehnung auf alles Weibliche offenbart. Klar gibt es Ausnahmen, wenn Bildung und Aufklärung greifen. Doch wer hat die schon, können diese Faktoren autoritären Regimes schließlich gefährlich werden. Holy Spider, brisanter denn je, macht aus seinem Stoff aber keine Parabel, sondern bedient sich des Genres eines klassischen Thrillers im kalten Schein der Halogenlampen, billigen Reklamelichter und unter wummernden Klängen. Er wirft Sahra Amir Ebrahimi, Gewinnerin der goldenen Palme als beste Schauspielerin, dem Patriarchat fast schon zum Fraß vor.

    Die Zeitschrift cinema meint, Holy Spider hätte nichts mit einer gewissen Religion zu tun oder gar mit einer Kritik an den Staat selbst. Letzteres mag stimmen, bei ersterem bin ich anderer Meinung: Gerade dieses Verständnis für Sitte und Anstand wurzelt im Moralkodex eines religiösen Extremismus, und selbst die Ehefrau Saeeds kann, als sie von den Straftaten ihres Mannes erfährt diese nicht verurteilen. Das ist es, was zutiefst irritiert, doch Ali Abbasi nutzt das Medium Kino, in dem alles möglich sein kann, nicht dafür, die True Story insofern zu verzerren, um eine noch bizarrere Zukunftsvision zu errichten, vor welcher selbst der muslimische Mann zusammengezuckt wäre. Abbasi zeigt zwar drastische Bilder und lässt auch so manche Sexszene nicht unbeobachtet, besinnt sich aber dennoch einer kühlen, recht nüchternen Erzählweise, wie Asghar Farhadi sie in seinen Filmen gerne nutzt, dabei aber erzählerisch dichter wird. Vielleicht hätte ich mir gerne mehr persönliches Statement erwartet, vielleicht auch eben diese Radikaldystopie, die aus den Opfern letztendlich belangbare Täter macht und umgekehrt. Hier begnügt sich der Filmemacher damit, die Volksmoral von der Moral der staatlichen Institution zu trennen. Und das fiel mir letztendlich zu verhalten aus, vielleicht gar zu versöhnlich.


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    04.02.2023
    16:00 Uhr
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    Der Spinnenmörder von Maschhad

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Der im Iran aufgewachsene und heute in Dänemark lebende Ali Abbasi hat nach seinem internationalen Erfolgshit „Border“ einen Film gedreht, der sich mit einem bekannten iranischen Kriminalfall der frühen 2000er beschäftigt. In „Holy Spider“ steht allerdings nicht nur ein Gewaltverbrechen im Fokus, sondern auch eine Journalistin, die sich mit konservativen Gesellschaftsstrukturen konfrontiert sieht; in einem Land, in dem die Moralpolizei alles und jeden überwacht. Gerade im Hinblick auf die aktuellen Proteste rund um den Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini scheint dies relevanter denn je.

    Maschhad, Anfang der 2000er: Die Journalistin Rahimi (Sahra Amir Ebrahimi) reist in die heilige islamische Stadt, um eine Reihe von Morden an jungen Prostituierten zu untersuchen. Die Polizei erweist sich hierbei als wenig hilfreich, der Kriminalreporter Sharifi (Arash Ashtiani) versorgt Rahimi jedoch mit nützlichen Hinweisen. Schon bald kommt die furchtlose Reporterin dem von der Presse als „Spinnenmörder“ bezeichneten Serienkiller (Mehdi Bajestani) auf die Spur - einem selbsternannten „heiligen Kämpfer gegen die Unmoral“.

    „Sie hat ein Zimmer reserviert, ist aber nicht verheiratet“: bereits die Ankunft in Maschhad birgt für Rahimi als alleinreisende junge Frau die ersten Hürden mit sich. Die Journalistin, die sich im Laufe der Handlung durchwegs gegen aufdringliche oder bevormundende Männer behaupten muss, weiß sich aber stets durchzusetzen und bildet vor allem aufgrund ihres taffen Charakters den hoffnungsvollen, festen Anker von „Holy Spider“. Die Gegebenheiten werden allerdings nicht nur aus ihrer Sicht erzählt, sondern auch aus der des Spinnenkillers selbst (und zu Beginn auch aus der eines Opfers). Der ständige Wechsel zwischen Hauptfigur und Antagonist trägt zu einer besonderen Atmosphäre bei, die bereits in der formidablen Eröffnungsszene etabliert wird. Gleich zu Beginn sieht man nämlich den ersten (expliziten) Mord - weitere sollen im Laufe der Handlung noch folgen - der von dem Spinnenkiller reuelos und geradezu mechanisch durchgeführt wird. Wenn der Mörder dann die Leiche seines Opfers, eingewickelt in einem Tschador, auf sein Motorrad bindet und auf dem Weg zu deren Entsorgung die Skyline Maschhads prominent im Fokus steht, während die Opening Credits eingeblendet werden, kann man jedenfalls von einer äußerst eindrucksvollen Titelsequenz sprechen.

    Hier hört man auch das erste Mal das unheilvolle Dröhnen, das den gesamten Film begleiten wird und vor allem in der ersten Hälfte für einen besonderen Spannungsaufbau sorgt. Die Handlung von „Holy Spider“ scheint generell auf zwei Parts aufgeteilt zu sein. Der erste ist eher als Thriller angelegt, in dem die Morde begangen werden, den zweiten könnte man ins Subgenre des Gerichtsdrama einordnen. Während man im ersten Teil vor allem mit direkter Gewalt konfrontiert wird, wird man im zweiten Zeuge von einem ganz anderen Horror: der Rechtfertigung der Taten eines Mörders unter dem Vorwand der Einhaltung der Moral. Ein erschreckendes Bild liefert Abbasi hier dann auch anhand des Umgangs der Bevölkerung mit dem Kriminalfall.

    Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb erscheint „Holy Spider“ etwas zerstückelt, da die Aufteilung des Films in Tätersuche/Gerichtsprozess einen inhomogenen Eindruck hinterlässt. Abbasi schafft es aber dennoch – gerade auch dank der großartigen Hauptdarstellerin Sahra Amir Ebrahimi, die für ihre Rolle sogar in Cannes ausgezeichnet wurde – einen bedrückenden Einblick in den bekannten iranischen Kriminalfall des „Spinnenmörders“ zu geben und liefert mit seinem Film ein eindrucksstarkes Bild einer patriarchalischen Gesellschaft, die sich immer stärker in Moralvorstellungen verliert.
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    04.10.2022
    19:09 Uhr