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    Menschenleben zu vergeben

    Das macht schon was mit jemandem, der draufkommt, nicht gewollt auf die Welt gesetzt worden zu sein. Der rein zufällig lebt und atmet, obwohl er nicht geplant war. Eine Existenz, entstanden aus einem Unfall. Gut, es gibt Eltern, die nehmen dieses Ereignis dankend an, denn es wird ihr Leben verändern und um unersetzbare Aspekte bereichern. Es gibt aber auch welche, die niemals Mutter oder Vater sein wollen. Oder können. Wie fühlt man sich, als ein Kind, das keiner haben will? Eine neue Familie, ja klar. Aber dass die leiblichen Eltern einen nicht wollen, lässt sich, wie es scheint, nicht verwinden. Da kann es passieren, dass man im Erwachsenenalter aus der Not der anderen, die noch nicht wissen, wie ihnen geschieht, weil zu klein, Profit herausschlägt. Zwecks Rache. Als Genugtuung. Als Eigentherapie, wie auch immer.

    Dong-soo zum Beispiel, selbst einmal Waisenkind gewesen und in entsprechender Einrichtung aufgewachsen, hat sich darauf spezialisiert, gemeinsam mit seinem älteren Freund Sang-Hyun „weggeworfene“ Babys, wie sie es nennen, an kinderlose Eltern zu verhökern, die das offizielle und oft recht mühsame Prozedere zur Adoption umgehen wollen. Klar ist das ein Verbrechen, nämlich astreiner Menschenhandel. Auf Nachhaltigkeit und Gewissenhaftigkeit, wie das die Behörden tun, kann dabei nur schwer gesetzt werden. Da passiert es eines Nachts, dass das Schicksal des Babys von So-young, abgegeben an der Babyklappe einer Kirche, für die Dong-soo arbeitet, von Polizei und Sozialbehörde genauestens beobachtet wird. Und auch So-young hat es sich tags darauf anders überlegt und will ihr Kind wieder zurück – allerdings ist dieses bereits in den Händen der beiden Gauner, die aber im Grunde ihres Wesens herzensgut sind und von da an die Mutter des Kindes mit auf ihre Tour durchs Land nehmen, um die richtigen Eltern zu finden, die auch bereit sind, einen stolzen Preis zu zahlen. Warum da So-young mitmacht, erscheint anfangs nicht klar. Doch irgendwie fühlt sie sich zu den beiden Außenseitern, die selbst keine Familien haben und verstoßen wurden, hingezogen. Wen wundert es, wenn die Biographie der jungen Mutter ein ähnliches Trauma beinhaltet wie das der beiden Gefährten, die fortan so etwas wie eine notgedrungen zusammengewürfelte Familie bilden.

    Song Kang-ho, wohl der berühmteste südkoreanische Schauspieler, und das schon seit Jahrzehnten, war Haus- und Hofakteur Park Chan-wooks und wurde durch Bong Joon-hos Parasite weltbekannt. Jetzt hat er letztes Jahr glatt noch die Goldene Palme für sein Schauspiel im vorliegenden Film namens Broker – Familie gesucht erhalten. Er spielt nicht schlecht, was anderes würde mich auch wundern, doch eine herausragende Leistung ist das keine. Dafür spielen ihn seine Kolleginnen und Kollegen fast schon an die Wand, allen voran Im Seung-soo als der kleine Hua-Jin, der sich in den Wagen der Broker schleicht, weil diese für ihn eine Familie sein könnten.

    Die Idee des Films, inszeniert und geschrieben von Palme-Gewinner Hirokazu Kore-Eda, der mit dem thematisch recht ähnlichen Shoplifters auf sich aufmerksam machte, hat alles, was ein Seelenwärmer fürs Kino so braucht: Wehmut, Hoffnung, die inspirierende Eigendynamik einer kleinen Gemeinschaft und das erstrebenswerte Gefühl, gebraucht zu werden. Alle, die hier durch Südkorea tuckern, sind Verstoßene, denen das Glück in ihrem Unglück widerfährt, einander plötzlich wichtig zu sein. Dafür findet der Filmemacher vielsagende Momente voller Wahrhaftigkeit, die aber dennoch recht spärlich gesät sind. Denn so richtig mitnehmen will Broker sein Publikum manchmal doch nicht. Es ist, als wären sich die fünf Individuen selbst genug, und wir als Zuseher müssen gar nicht so genau nachvollziehen können, was nun als nächstes passiert.

    Zu sprunghaft erscheint mir der Film, nachdem er sich anfangs recht viel Zeit gelassen hat, um überhaupt in Fahrt zu kommen. Kaum sind die Reisenden in Busan, sind sie plötzlich in Uljin oder Seoul. Dann sind da plötzlich Eltern, dort plötzlich Eltern. Es reißt Kore-Eda herum in seinem Skript, und zumindest mich selbst irritiert der plötzliche Orts- und Szenenwechsel manchmal doch so sehr, dass es mich fast bis zum Ende auf Distanz hält. Broker – Familie gesucht ist ein Film, der manche Details verschluckt, während er manchen wiederum zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Dazwischen finden sich einige szenische Highlights, die aber dennoch keinen perfekten Film daraus machen.


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    27.03.2023
    17:34 Uhr
  • Bewertung

    Thank You For Being Born

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Hirokazu Kore-eda gehört dank Filmen wie „Shoplifters“ oder „Still Walking“ zu den bedeutendsten Regisseur*innen der Gegenwart. Oftmals mit den Werken des japanischen Altmeisers Ozu verglichen, beinhalten seine Dramen häufig philosophische Annäherungen an alltägliche Situationen, die das Konzept von Familie genauer unter die Lupe nehmen. Mit „Broker“ hat der Japaner nun das erste Mal einen Film in Südkorea gedreht; mit den koreanischen Stars Song Kang-ho („Parasite“), Gang Dong-won („Peninsula“) und K-Pop-Sängerin IU (bürgerlich Lee Ji-eun) in den Hauptrollen.

    Die Freunde Sang-hyun (Song Kang-ho) und Dong-soo (Gang Dong-won) betreiben illegale Geschäfte: sie entwenden Säuglinge, die zu der von der Kirche betriebenen Babyklappe gebracht werden und verkaufen diese an wohlhabende Familien. Eines Tages bringt die junge Prostituierte So-young (Lee Ji-eun) ihren kleinen Sohn Woo-sung zur Klappe. Als sie nach ein paar Tagen zurückkommt, ist der kleine Junge verschwunden. Als So-young wenig später auf Sang-hyun und Dong-soo trifft und von dem geplanten Kinderhandel erfährt, macht sie sich gemeinsam mit den beiden Männern und dem Waisenkind Haejin (Im Seung-soo) auf, um für Woo-sung einen geeigneten Platz bei einer Wohlstandsfamilie zu finden. Was die chaotische Reisegruppe allerdings nicht ahnt: Die beiden Polizistinnen Su-jin (Bae Donna) und Lee (Lee Joo-young) sind ihnen dicht auf den Fersen.

    Das Thema einer aus der Not heraus entstandenen Gemeinschaft, die eine familiäre oder freundschaftliche Bindung eingeht, ist eine im filmischen Werk Kore-edas häufig verwendete Komponente. Das Konzept der gewählten Familie stellt der japanische Regisseur häufig in das Zentrum seiner Narration, in der Freud und Leid meist ganz nah beieinander liegen. Dieser Aspekt funktioniert auch anhand von „Broker“ äußerst gut, was vor allem der feinfühligen Inszenierung sowie den tollen Darsteller*innen zu verdanken ist. Diese bilden einen auffallend harmonischen Cast, in dem einige der begehrtesten Stars Südkoreas versammelt wurden: egal ob Song Kang-ho als schrulliger Sang-hyun, Gang Dong-won als feinfühliger Dong-soo oder Lee Ji-eun als unnahbare So-young – keinen der Beteiligten möchte man hier missen.

    Leider stattet Kore-eda (von dem auch das Drehbuch stammt) seine Figuren aber auch mit verzichtbaren Hintergrundgeschichten aus und verbindet dabei viel zu viele Subplots miteinander, die sich nicht ganz so gut in die restliche Handlung integrieren. Familiendramen, Thriller-Elemente, Gesellschaftskritik und eine angedeutete Romanze tragen ihren Teil dazu bei, dass man das Gefühl hat, dass zu viele Themem miteinander vermischt wurden. Der eigentliche Fokus des Films - das Zusammenführen einer bestimmten Gruppe an Menschen – wird dabei aber trotzdem nie aus den Augen verloren, wenngleich das Ende wiederum ziemlich gehetzt und lückenhaft erscheint. Die Komik, die in „Broker“ zum Einsatz kommt, funktioniert dafür aber wieder makellos. Im Dramenfach fast schon eine Seltenheit, gliedert sich der Humor hier perfekt in eine Reihe an aufwühlenden oder emotionalen Momenten ein, ohne dabei je gezwungen zu wirken. Und dann zünden sogar relativ gewöhnliche Scherze wie ein Augenbrauen-Gag oder ein Schauspieler, der seinen Text vergisst.

    Gerade deshalb vermag man wahrscheinlich auch so schnell die ernste Thematik vergessen, die dem Film zugrunde liegt: „Ihr tut so, als wärt ihr die Wohlfahrt, aber eigentlich seid ihr Menschenhändler.“ meint Ji-eun während ihrem ersten Treffen mit Sang-hyun und Dong-soo, was die zweispaltige Charakterisierung der Protagonisten perfekt auf den Punkt bringt. Das stellt ein interessantes Detail im Hinblick auf die Skizzierung der Figuren in „Broker“ dar, bei der Kore-eda es schafft, niemals in eine einfache Schwarzweiß-Typisierung seiner Charaktere abzugleiten. Stattdessen zeigt er vielschichtige Personen, die mit den Höhen und Tiefen des Lebens klarkommen müssen.

    „Broker“ ist in diesem Sinne eine buchstäbliche Ode an Empathie und Humanismus. Der Film hält dabei gekonnt die Waage zwischen Drama und Komödie, wobei vor allem die ruhigeren Momente herausstechen. Viele Szenen bleiben auch aufgrund ihrer visuellen Wirksamkeit im Kopf, die signifikante Stilistik von Kameramann Hong Kyung-pyo („Parasite“, „Burning“) ist dabei stets erkennbar. Trotz mancher unnötiger Subplots ist der im Zentrum der Handlung stehende Roadtrip ein regelrechtes Highlight, den trotz aller schwierigen Thematiken eine Leichtigkeit umgibt, die nur Kore-eda zu erschaffen vermag. Und auch wenn die Charaktere moralisch bedenkliche Schritte vornehmen: letztendlich kann man gar nicht anders, als mit ihnen zu sympathisieren.
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    30.11.2022
    22:38 Uhr