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    Österreich in a Nut(s)hell?

    Moment – ein Animationsfilm in Spielfilmlänge aus Österreich? Und was wäre da treffender als ein Film basierend auf den Charakteren, dem Zeichenstil und dem derben Humor von Manfred Deix? Österreichischer geht es wohl kaum. Der Film strotzt voller politischer Inkorrektheit, barock-fleischiger Charaktere, Alkohol und Fäkalhumor. Also eher bedingt als Film für die ganze Familie geeignet – was er weder sein will noch muss.

    Der Film ist fiktiv, lässt aber viele parallelen zu Deix‘ Kindheit und Jugend erkennen. Allen voran das Aufwachsen im Gasthaus und das Leben im Dorf Siegheilkirchen in den 1960er Jahren, das Deix‘ Geburtsort Böheimkirchen wohl ähnlicher ist als es viele zugeben würden. Der Rotzbub wächst als Sohn eines Kriegsinvaliden Gastwirtes und seiner Frau auf, hat jedoch wenig Interesse an der Gastwirtschaft, denn seine Leidenschaft gilt dem Zeichnen. Seine Freunde erkennen sein Potential und verkaufen geheim angefertigte, anstößige Portraits der vollbusigen Metzgersgehilfin an zahlungswillige Mitschüler. Dies führt unweigerlich zu Unfrieden in der Schule und im Dorf. Als die politisch fragwürdige und veraltete Malerei an der Rathausfassade von Rotzbubs Onkel neugemalt werden soll erkennt dieser sein Talent und lässt ihn assistieren. Zusätzlich wird die konservative und Ewiggestrige Dorfidylle (mit einziger Ausnahme vom neuen Barbesitzer) von einer Gruppe Roma und der hübschen Tochter gestört, die sich in der Nähe des Dorfes niederlassen.

    Rotzbub – Willkommen in Siegheilkirchen ist eine derb-österreichische charmant animierte Coming-Of-Age Story voller kleiner Referenzen und Details zu Manfred Deix. Wer seinen Humor und Stil mag, wird auch den Film mögen. Die Geschichte bietet keine allzu großen Überraschungen, ist aber durchaus unterhaltsam und witzig erzählt. Die Synchronisation ist passend österreichisch und die Animationen wirken flüssig und professionell, allerdings merkt man schon einen Qualitätsunterschied zu internationalen Produktionen was die Lebendigkeit der Schauplätze betrifft, was aber an und für sich wieder zum Setting passt.
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    28.05.2022
    09:01 Uhr
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    Vom Deix zum Rotzbub

    Manfred Deix ist der bekannteste Karikaturist Österreichs. Seine beliebtesten Motive waren die Derbheit der österreichischen Seele und die Üppigkeit des österreichischen Körpers. Diese Motive lassen sich animiert auch wunderbar für die große Leinwand aufbereiten. Manfred Deix wirkte auch an diesem für Österreich historischen - immerhin ist es der erste Animationsfilm, der das Hauptabendprogramm beleben soll - mit, jedoch starb er vor der Fertigstellung des Films. Stattdessen nahm der spanische Cartoon- und Animationskünstler Santiago López Jover seinen Platz neben dem deutschen Regisseur Marcus H. Rosenmüller ein. Es ist dennoch ein zutiefst österreichischer Film geworden, der unseren traditionsbewussten 'Patrioten' im Land, die die Facebook-Seite des österreischischen Animationsspektakels schon vorab mit zahlreichen Likes versehen hatten, einen Spiegel vorhalten will. Für alle anderen ist es ein großer Spaß geworden, wenn auch recht brav für einen Rotzbub!


    Der Film spielt im Dorf Siegheilskirchen (fiktiv und irgendwie auch nicht) in der späten Nachkriegszeit der 1960er-Jahre, wo der Rotzbub - mit seiner Kunst, aber auch mit seinem Herz (und seiner Hose) für ein freches Roma-Mädchen - das Dorf auf den Kopf stellt, während am Wirtshaustisch Pläne geschmiedet werden, die ansässigen Roma aus dem Dorf zu vertreiben. Ästhetisch bedient sich der Film natürlich dem typischen Deix-Zeichenstil. Es trifft aber auch Dorf-Ästhetik, die sich seit der repräsentierten Zeit kaum geändert hat, auf liberale psychidelische Ästhetik, Posaune trifft auf Rock'n'Roll, um den Konstrast zwischen Tradition und Gegenkultur zu verdeutlichen. Immerhin soll Zeit nicht bloß stillstehen. Ein Land muss auch mal nach vorn schauen, anstatt immer nur zurück - auch Österreich.
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    07.04.2022
    12:20 Uhr