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    Amour fou

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2022
    Als Starregisseur Paul Thomas Anderson vor nicht allzu langer seine mittlerweile oscarnominierte Coming-of-Age-Tragikomödie „Licorice Pizza“ veröffentlichte, entstanden online heftigste Debatten. Der Altersunterschied zwischen den zwei Hauptfiguren, der wohlgemerkt vom Film direkt angeprangert wird, war vielen wohl ein Dorn im Auge. Diejenigen, die sich bereits am Altersunterschied in „Licorice Pizza“ störten, sollten einen großen Bogen um den neuen Film von Nicolette Krebitz machen. In „A E I O U – Das große Alphabet der Liebe“ bahnen sich nämlich romantische Gefühle zwischen einer 60-jährigen und einem rebellischen Teenager an.

    Anna (Sophie Rois) war einst eine anerkannte Schauspielerin. Gelegentlich spricht die mittlerweile 60-Jährige noch das ein oder andere Hörbuch ein, doch die ruhmreichen Tage von früher hat die Mimin längst hinter sich gelassen. Eines Tages begegnet sie dem Jugendlichen Adrian (Milan Herms), der versucht ihre Tasche zu klauen. Der 17-Jährige gilt als Problemkind und steht kurz davor, seinen Schuljahrgang wiederholen zu müssen. Als die beiden einander wieder über den Weg laufen, beginnt Anna dem Teenager Schauspielunterricht zu geben. Was als Freundschaft mit mütterlichem Charakter beginnt, nimmt bald schon romantische Züge an und schlägt letztlich sogar ins Sinnliche um.

    Das neue Werk von Schauspielerin und Regisseurin Krebitz ist eine spielerische Romanze, in der zwei einsame Seelen, die auf und ersten Blick wenig gemein haben, zueinander finden. Eine Liebe, die allein aufgrund des Altersunterschieds nicht auf Dauer funktionieren wird, aber zumindest für einen begrenzten Zeitraum die Leere im Leben des jeweils anderen wieder füllen kann. Waschechte Amour fou eben.

    Krebitz inszeniert ihre romantische Komödie als modernes Märchen samt begleitendem Voiceover, in dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion des Öfteren mal verschwimmen. Über dem gesamten Film schwebt ein Hauch Surrealismus, der der Romanze eine verspielte Unvorhersehbarkeit verleiht. So fliegen in einem besonders bizarren Moment plötzlich Kanarienvögel durch die Wohnung, während im Hintergrund Nina Simones Version von „Here Comes the Sun“ ertönt. Krebitz vermeidet es jedoch ihren Film in unerträglich kitschige Gefilde zu lenken und tischt aufrichtigen Pathos mit einer „Ámelie“-esquen Note Exzentrik auf. Das letzte Drittel, das sich in der französischen Côte d’Azûr abspielt, lässt in seiner inszenatorischen Leichtfüßigkeit und dem gesamten Ambiente Erinnerungen an die Nouvelle Vague hochkochen.

    Sophie Rois beweist mit einer furchtlosen Performance einmal mehr, dass sie zu den Schauspielgrößen des deutschsprachigen Raums gehört. Genre-Urgestein Udo Kier amüsiert indes in einer Nebenrolle als liebenswürdiger Nachbar im Apartmentkomplex.

    Das erste Drittel mag noch gewöhnungsbedürftig sein, doch sobald Startschwierigkeiten überwunden sind, entpuppt sich „A E I O U – Das große Alphabet der Liebe“ als überaus charmant und gewitzt. Eine romantische Komödie über zwei Eigenbrötler, die sich ein intensives Liebesabenteuer stürzen, um den Sorgen des Alltags zu entfliehen. Verträumt, fantasievoll und unberechenbar!
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    16.02.2022
    08:52 Uhr