Forum zu Detours

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    Neugieriges und ungefiltertes Porträt einer Stadt und deren Illegalität

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    In ihrem zweiten Spielfilm, der bei der 59. Viennale in der Sektion Features gezeigt wurde, entfaltet die Regisseurin Ekaterina Selenkina einen interessierten, aber auch meditativen Blick auf die russische Metropole Moskau. Ihre Kamera folgt einem lokalen Drogendealer, der seine Päckchen digital geographisch markiert und quer über der Stadt versteckt. In anderen Szenen beobachtet sie die Einwohner aus der Ferne, wobei sie sich eines verspielten, aber auch distanzierten Framings bedient. Es ist ein Film über die Menschen im System der Drogenindustrie sowie ihre heimliche, aber doch offensichtliche Präsenz im modernen Stadtbild. Fasst man den Film weiter, so ist es ein Film darüber, wie Leute diese herausfordernden, verschlafenen oder unpersönlichen Räume navigieren, sowie den angespannten politischen und sozialen Status des Landes.

    Kameramann Alexey Kurbatov, der 2020 verstarb, und dem dieser Film gewidmet ist, schafft isolierte, zurückhaltende Kamerawinkel, von denen er sich den minimalistischen Vorkommnissen in den weit ausladenden Blickwinkeln der Handlung nähert. Seine Kamera stoisch und statisch auf das Geschehen fixiert, erhält das Gesehene fast den Eindruck einer Überwachungskamera. Aber es ist hier mehr als auf den ersten Blick scheint. Mit seiner Vogelperspektive und Positionierungen in toten Winkeln bietet die Kamera einen beruhigenden, aber doch einnehmenden Blick in das Straßenleben von Moskau.

    In diesem fixierten Hintergrund bewegen sich die Figuren in das und aus dem Bild heraus, verharren im Hintergrund, kleine Punkte, verloren vor der imposanten oder verwahrlosten städtischen Planung. Die Gespräche sind kaum vernehmbar, Fetzen einer Unterhaltung erreichen die Kamera und den Zuschauer in der Ferne. Protagonist Denis (Denis Urvantsev) navigiert durch dieses Niemandsland, wenn er seine Päckchen versteckt, er verschwimmt mit dem alltäglichen Trubel der Szenerie. Es ist diese beiläufige Immersion des Verbotenen in dem alltäglich Sichtbaren, was der Film so eindringlich vermittelt.

    Indem er Denis Szenen mit seinen Google-Maps-Markierungen und SMS über Geldübergaben verbindet, scheint der Film zunächst noch einer klaren Handlung zu folgen. Der Zuschauer lernt nicht nur Denis selber kennen, wie er in der Badewanne seine Päckchen fertig macht, er sieht auch die ältere Dame, mit der er sich eine Wohnung teilt. Doch je länger er dann draußen mit der Anonymität der Straße verschmilzt, desto weniger interessiert ist die Kamer an ihm. Sie folgt lieber den Kindern, die auf alten Lagerhallen herumklettert, Studenten, die über das erfolglose Liebesleben sprechen, einen Mann, der gegen den Krieg in der Ukraine protestiert, oder einem Pärchen, das gemeinsam im Bett liegt. Sie alle bekommen eine wichtige Rolle im Narrativ, Denis wird nur zu einem Teil des Puzzles.

    Selenkina suggeriert zwar soziale Brennpunkte wie die Polizeibrutalität oder die Homophobie, die sich durch den russischen Alltag zieht. Aber diese Präsenz ist mehr andeutungsvoll als present. Selenkina verweigert sich auch Denis Drogendealerei zu kommentieren, oder die Gefahr von Drogen selber zum Thema zu machen. Viel eher schafft sie einen Einblick in ein zyklisches System, in dem die Ärmsten keine andere Wahl haben, als in im Drogenhandel mitzumischen. Ein System, dessen zunehmende Digitalisierung im Dark Web es leichter navigierbar machen und daher sicherer für alle macht, aber gleichzeitig die Eintrittsschwelle für die Bevölkerung sinken lässt.

    Diese Verbindung von alltäglichen Belanglosigkeiten sowie die sichtbare, und doch ignorierte Kriminalität von Denis schaffen ein ruhiges, aber doch gesellschaftlich erdrückendes Bild einer Stadt.
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    30.10.2021
    14:30 Uhr