Forum zu Vortex

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77.5% Bewertung
  • Bewertung

    Demenz und ihre Folgen

    Wenn man an den neuesten Film von Gaspar Noé denkt, erwartet man wahrscheinlich schon die nächste skandalöse Provokation. Aber nein, dieses Mal geht es nicht um Sex, Drogen und Gewalt, sondern um eine unheilvolle, geistige Erkrankung: Demenz. "Vortex" beginnt, passend zu Noés unkonventioneller Art, mit dem Abspann und bereitet uns auf diese Weise schon auf das unausweichliche Ende vor - das beschwerliche Leben im hohen Alter. Dafür hat er den italienischen Kultregisseur Dario Argento und Françoise Lebrun versammelt, die beide wahnsinnig berührend aufspielen. Durch den ständigen Einsatz des Split-Screens ist man in den unterschiedlichen Sichtweisen regelrecht gefangen, wodurch man von dem Gezeigten nur umso stärker gefesselt wird. Mit der Zeit wird das aber leider auch ziemlich repetitiv und man hat auch bei "Vortex" wieder einmal das Gefühl, dass der Regisseur etwas zu stark versucht, die Zuseher*innen in einen unwohlen Zustand zu versetzten. Keine einfache Kost!
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    02.11.2021
    14:12 Uhr
  • Bewertung

    Ein Provakateur wird erwachsen

    Gaspar Noé ist zweifelsohne einer der großen Vertreter des europäischen Extremkinos. Der gebürtige Argentinier, der seit seiner Jugend in Frankreich verweilt, liebt es mit seinen Filmen, die häufig die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten, zu polarisieren. Drei Jahre nach dem wahr gewordenen Höllentrip "Climax" meldet sich das Enfant terrible mit seinem bis dato ungewöhnlichsten und persönlichsten Werk zurück. In "Vortex" widmet er sich dem Alltag eines alternden Paares (Françoise Lebrun und Regielegende Dario Argento), die beide den Tod ins Auge sehen. In seinen besten Momenten ist der Film eine wahrhaft ergreifende und für den Regisseur ungewohnt zärtliche Meditation über die letzten Momente eines von Krankheit gezeichneten Lebens. Leider vergreift sich der Regisseur an einem Gimmick-haften Stil, dessen Wirksamkeit nicht lange währt. Hinzu kommt eine Lauflänge von sagenhaften 2.5 Stunden, die das Drama leider nicht rechtfertigen kann. Dennoch handelt es sich beim Film um ein überaus effektives Charakterdrama und zeigt eine angenehm reife Entwicklung im Schaffen des oft zu gewollt kontroversen Regisseurs.
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    01.11.2021
    15:55 Uhr
  • Bewertung

    Melancholischer Blick auf das Altern

    Exklusiv für Uncut vom Karlovy Vary Film Festival
    Normalerweise würde man bei Gaspar Noé einen energiegeladenen, fantastischen Film erwarten. Nicht so mit seinem neuesten Werk, „Vortex“. Eindeutig geprägt von jüngeren Verlusten von Freunden, so wie seiner Nahtoderfahrung, ist dieses Werk eher eine düstere, von ungenannten Bedrohungen durchzogene Mischung an emotionalen Höhepunkten und verzweifelten Konfrontationen. Gezeigt wurde der Film auf dem Karlovy Vary Film Festival in der Sektion „Horizons“.

    „Vortex“ wurde nicht umsonst bereits mehrmals in einem Atemzug mit Michael Hanekes „Amour“ genannt. Beide Filme handeln von einem älteren Pärchen, das allein in einer gutbürgerlichen Wohnung haust, und dort von den Tücken des Alterns eingeholt wird. Der Hauptunterschied ist jedoch, dass Noés Film ungleich brutaler in seiner Exekution ist. Hier ist kein Platz für allzu viel Sentimentalität. Sein Setting ist vollgepackter, verzweigter und dunkler. Seine Figuren kriechen wie durch ein Labyrinth ihrer Gedanken und Gefühle, das mit jeder Sekunde enger zu werden scheint.

    Dario Argento, italienische Regielegende und Giallo-Mastermind, spielt den Ehemann und Vater, der sich nicht nur mit einer Herzfehlfunktion und den dazugehörigen Medikamenten herumplagt, sondern auch an einem Buch über das Kino schreibt, bei dem er wenig Fortschritt macht. Sein Alltag besteht aus Werken im Arbeitszimmer, den Gang zur Toilette und Spaziergängen im Freien. Seine Frau (Françoise LeBrun) ist eine pensionierte Psychiaterin, die klar an Demenz leidet, aber dennoch immer weiter Rezepte für Medikamente ausstellt und ihren Mann die Dosierungen einteilt. Es ist klar, dass sich beide Parteien noch lieben und einen gemeinsam Alltag gestalten wollen. Doch ob ihrer Situation wird das immer schwerer. Ihre Konditionen fesseln sie aneinander, sperren sie in der Wohnung ein wie zwei Kuriositäten, denen ab und an mal Besuch gestattet ist.

    Besuch kommt in Form ihres Sohnes Stéphane (Alex Lutz), der die beiden liebt und nur das Beste für sie möchte. Aber Stéphane selber kann sich nur begrenzt um sie kümmern, da er seine eigenen Dämonen bekämpft. Er ist ein ehemaliger Drogensüchtiger, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, saubere Nadeln in der Stadt zu verteilen, und andererseits darauf achten muss, dass er selber nicht rückfällig wird. Wenn er nicht arbeitet, muss er sich als Alleinerziehender um sein Kind kümmern. Seine Liebe zu den Eltern balanciert somit auf dem wackligen Podest von finanziellen, zeitlichen und gesundheitlichen Umständen. Er will, dass die Eltern in eine betreute Wohnung einziehen. Er könne ihnen nicht helfen, er könne schon sich selber nicht ausreichend helfen.

    Das offensichtliche nicht glückliche Ende außer Acht gelassen, ist es für jene, die Noé kennen, ein starker Umschwung von seinem üblichen Stil. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht seine sonst so typischen psychischen und emotionalen Abgründe in die Geschichte packt. „Vortex“ ist unbarmherzig, brutal, und oft auch sehr improvisiert angelegt. Die Enge der Räume, die Nähe der Kamera wirken, also würde sich hier eine dritte Person an dem geistigen Niedergang des Pärchens laben. Die Eheleute mögen zwar in Liebe ewig verbunden sein, doch ihr Ende ist nicht romantisiert. Sie gehen wie wir alle einmal, einsam, auf ihren eigenen Pfad, ihrem unweigerlichen Schicksal entgegen.
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    09.10.2021
    21:39 Uhr