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85.8% Bewertung
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    Ein Grenzfall für die Familie

    Zwei Jahre hat es gebraucht, um diesen Film in die Kinos zu bringen. Vor rund zwei Jahren lief Hit the Road im Festivalprogramm der Viennale ’21 – was letztlich den Ausschlag gibt für eine derartige Verspätung, darüber kann man spekulieren. Gut ist, dass Panah Panahis Roadmovie es geschafft hat, ans Ziel zu kommen. Nämlich dorthin, wo er hingehört – auf die Leinwand. Für knappe 90 Minuten nimmt uns der Iraner mit auf eine höchstpersönliche Autofahrt quer durchs Land, vorbei an atemberaubenden Felsformationen, durch fruchtbares Land und über grüne Hügel. Es ist ein Weg des Abschieds, doch wer hier wen verlässt oder ob alle gehen, kristallisiert sich erst viel später heraus. Klar ist, dass Mutter, Vater und die beiden Söhne, zwischen denen ein enormer Altersunterschied liegt, nicht per Gaudi einen Ausflug unternehmen, obwohl man beim jüngsten Spross Rahma, der für sich allein die Party seines Lebens schmeißt und vor lauter Liebe zur Welt stets den Boden küsst, auf dem er wandelt, durchaus die Meinung vertreten kann, dass alles nur existiert, um Spaß zu haben und Scherze zu treiben. Rahma (eine Wucht: Rayan Sarlak) ist das quirlige Zentrum dieser kleinen Gemeinschaft, die ewige Sonne, um ihn herum schwerfällige und leichtere Trabanten. Papa trägt einen Gips, die Mutter weiß nie, ob sie lachen oder weinen soll, der ältere Sohn gibt sich wortkarg, denkt nach, ist so angespannt, als würde er in den Krieg ziehen oder verfolgt werden. Und der Hund? Der liegt im Sterben.

    Verfolgt zu werden wäre in Anbetracht der Tatsache, dass alle fünf unterwegs sind zur türkischen Grenze, gar nicht mal so abwegig. Im Iran herrschen andere Regeln, was die Ausreise betrifft. Da muss man schon wissen wie, um ein besseres Leben anderswo zu ergattern. Alles scheint organisiert, unter Dach und Fach. Die Fahrt ist lang, zu erzählen gäbe es viel, doch kaum jemand findet den Zugang durch all den Smalltalk hindurch genau dorthin, wo Angst, Kummer und Vertrauen liegen. Immer wieder hält das Auto an, immer wieder finden sich Momente der Klarheit und der Mut, das unmittelbar Bevorstehende anzusprechen.

    Für dieses waschechte Roadmovie, das durch den Nordwesten Irans führt, braucht es weder eine twistreiche Story noch einen komplexen Plot, sondern lediglich Raum und Zeit für Konfrontationen. Jafar Panahis (u. a. No Bears) Bruder Panah nutzt diese cineastische Mitfahrgelegenheit, um vor allem auch mit musikalischer Färbung die Emotionen hin und herfluten zu lassen, wie schwappendes Wasser in einer Wanne. Oft blickt der Vater gedankenverloren und verbittert ins Narrenkästchen, nachdem er für Rahma den kauzigen Brummbären gegeben hat. Dann setzt die Klassik ein, Tastenmusik in Moll. Für die Mutter gibt’s persische Schlager mit schmachtend- kitschigen Texten, zu denen sie gar mitsingt. Worte, die etwas bedeuten, sind ein schwer zu ergatterndes Gut – ist der Moment gerade günstig, lässt Parhani das Gespräch laufen, minutenlang, ohne Druck, ganz entspannt, irgendwo am Fluss, während dahinter das Wasser rauscht. Parhani spielt auch mit erzählerischen Ebenen, lässt essenzielles im Hintergrund und anderes, wichtigeres, nach vorne treten, obwohl dieses Wichtige nicht mehr preisgibt als den Blick. Der Moment der Wahrheit bleibt auf Distanz, ganz weit weg stehen wir und beobachten das Drama eines Neuanfangs. Über allem das quirlige Gekreische Rahmas.

    Persisches Kino ist seit jeher bereichernd – und auch Hit the Road bringt einiges an neuen Sichtweisen und veränderten Prioritäten mit. Die Art, wie Parhani den Alltag des Reisens einfängt und klarstellt, dass niemand jemals auf einen Abschied wie diesen vorbereitet sein kann, trägt eine gewisse Bescheidenheit in sich und eine Akzeptanz den Dingen gegenüber, die zu tun sind. Der kleine, hyperaktive Rahma aber wird, obwohl er nichts aktiv dazu beiträgt, die Inkarnation einer hoffnungsvollen Zukunft. Er ist die Stütze, die die Familie nicht zerbrechen lässt.



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    09.09.2023
    18:06 Uhr
  • Bewertung

    Eine Familie auf Reisen

    Bei „Hit the Road“ handelt es sich um das sehr gelungene Spielfilmdebüt von Panah Panahi, dem Sohn von Altmeister Jafar Panahi, dessen Einfluss auch stark spürbar ist. Der Regisseur nimmt uns darin mit auf eine äußerst emotionale, aber auch wahnsinnig witzige Reise in sein Heimatland Iran, in Form eines Porträts einer Familie, die gemeinsam einen Roadtrip unternimmt. Jedes Mitglied der Familie weist dabei spezielle Charakterzüge auf: Der sarkastische Vater, der über sein gebrochenes Bein grummelt; die liebevolle Mutter, die ihre Sorgen zu verdrängen versucht; der in sich gekehrte ältere Sohn, der eine lebensverändernde Wahl trifft und das altkluge jüngste Mitglied der Familie (grandios dargestellt von Kinderdarsteller Rayan Sarlak!). Panahi schafft es, Drama und Komödie gekonnt miteinander zu verknüpfen und auch einige verspielte Elemente einzubauen. Und gibt dadurch sowohl einen spannenden Einblick in die iranische Gesellschaft als auch einen warmherzigen Verweis auf altbekannte Familienstrukturen.
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    30.10.2021
    14:56 Uhr
  • Bewertung

    Roadtrip mit tragischen Hintergrund

    Exklusiv für Uncut vom Karlovy Vary Film Festival
    Manchmal quitschfidel, manchmal angespannt und deprimierend, ist Panah Panahis Film ein weiteres Beispiel für die reiche Filmkultur des Irans. Sein Roadtrip einer vierköpfigen Familie, deren Ziel ein düsteres Geheimnis in sich birgt, wurde beim Karlovy Vary Film Festival in der Sektion „Horizons“ aufgeführt. Zuvor hatte das Werk bereits bei der Director’s Fortnight in Cannes begeistert.

    Panahis, dessen Debütfilm dies ist, stammt aus einer Filmemacher-Familie und hatte bereits für seinen Vater Jafar Panahi als Cutter und Regieassistenz gearbeitet. Sein Film setzt sich ebenfalls kritisch mit den Zuständen in seinem Heimatland auseinander. Ein Vater (Hassan Madjooni), dessen Frau (Pantea Panahiha), sowie die beiden Söhne (Amin Simiaiar und Rayan Sarlak) fahren durch das iranische Hinterland. Der Vater, in Gips, hat stoisch und stets mit einer sarkastischen Aussage auf den Lippen auf den Rücksitz Platz genommen. Sein jüngerer Sohn (Sarlak) lässt an ihm seine Energie aus, hüpft im Auto umher und beschwert sich, dass er nicht sein Handy mitnehmen darf, um seine Freundin anzurufen. Die Mutter hadert offensichtlich mit inneren Dämonen, möchte den jüngeren Sohn unterhalten und dem älteren besondere Aufmerksamkeit schenken. Der ältere Sohn, der das Auto fährt ist kalt, distanziert und in seiner eigenen Welt versunken.

    Panahi schafft es sehr schnell, mit wenigen Szenen die Dynamik zwischen den Figuren zu entwickeln, die Gemeinschaft, aber auch die Strapazen. Fast könnte man meinen, hier bei einer gewöhnlichen Familie im Auto zu sitzen, wenn da nicht die ständige Angst wäre, die Mission könnte auffliegen. Denn so viel ist klar, nicht alle werden wieder mit nach Hause kommen, wenn die Reise vorbei ist. Panahi setzt die Reise dorthin mit viel Gefühl um, konzentriert sich auf kleine filmische Details, auf die Schönheit der Landschaft, und die kleinen menschlichen Interaktionen, die den Film beleben. Wenn der jüngere Sohn etwa auf dem aufgemalten Klavier auf dem Gips seines Vaters symbolisch spielt, dann begleitet ihn der Soundtrack musikalisch.

    Das Zentrum der Handlung ist oft die Aufgewecktheit des kleinen Jungen. Sein Wandel vom unbekümmerten Kind zum jemanden, der seine ersten Blicke in die Erwachsenenwelt erhält, spannen einen runden Handlungsbogen. So ist nicht nur klar, dass der Familienhund Jessie kurz vor dem Tod steht, sondern auch, dass sie nicht umsonst ins Grenzgebiet des Irans zur Türkei gekommen sind.

    Panahi gelingt hier, ein ernstes Thema aus der Sicht einer Familie zu erzählen, in die sich viele mit ihren Problematiken und Herausforderungen hineinversetzen können. Die schwerwiegende Realität der Situation wechselt sich ab mit bunter Fantasie, komödiantischen Einlagen oder etwa auch mit dem Phantasieren über die Qualität von Batmans Batmobil. Ein Film, dessen Synergien sowohl die leichtfüßigen, aber auch dramatischen Momente zu vereinen wissen.
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    08.10.2021
    21:51 Uhr