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    Gedanken-Tricks zum Mondscheintarif

    Die Freiheit eines einzelnen geht doch bekanntlich so weit, bis sie die Freiheit eines anderen einzuschränken beginnt. Das ist nur fair, würde ich sagen. Mona Lisa, Insassin einer psychiatrischen Anstalt, muss jedoch, um ihre Freiheit zu erlangen, die Freiheit anderer deutlich beschneiden. Das macht sie nicht mit physischer, sondern mit mentaler Gewalt. Wie das geht? Wissen wir nicht, und das weiß Mona Lisa genauso wenig. Sie kann es eben. Und wäre sie Teil des X-Men-Universums, würde sie Professor Xavier, der ähnliche Fähigkeiten besitzt, wohl bei sich aufnehmen. Damit aber hätte er sich womöglich ein massives Problem aufgehalst – denn Mona Lisa will schließlich nicht dorthin müssen, wo andere sie hinhaben wollen. Sie würde sich auflehnen. Und den unbequemen Pöbel dazu zwingen, Dinge zu tun, die sie niemals freiwillig tun würden. Also büxt sie aus der Anstalt und geistert im peripheren Sumpfgebiet von New Orleans herum, irrlichtert vor neonhellen Supermärkten oder Diners umher, die den Bildern von Edward Hopper ähneln und aus der schwül-nächtlichen Dunkelheit herausragen wie startbereite UFOS. Sie lernt den supercoolen DJ Fuzz (Ed Skrein) kennen und noch in derselben Nacht die Stripperin Bonnie, die sich gerade mit einer anderen „Bitch“ prügelt – eine Gelegenheit, die Mona Lisa dazu nutzt, ihre Kräfte einzusetzen, und zwar zugunsten der am Boden liegenden Kate Hudson, die das unbekannte Mädel daraufhin auf einen Burger und dann zu sich nachhause einlädt. Die Fähigkeit Mona Lisas, so kombiniert Bonnie, könnte nützlich sein, um den männlichen Barbesuchern noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Ihr kleiner Sohn Charlie allerdings, der betrachtet die neue Freundschaft zwischen den beiden mit Argwohn.

    Bei Ana Lily Amirpour ist der durch den gesellschaftlichen Rost gefallene Frauentypus stets unterwegs zur Selbstbefreiung und unterzieht sich dabei einer manchmal körperlichen oder seelischen Wandlung. Jedenfalls erreicht dieser ein Ziel, das nur die Zwischenstation bleibt für etwas, was dann folgen könnte, dem wir aber als Zuseher nicht mehr beiwohnen werden. Amirpours Filme sind also der Anfang von etwas, sei es im Vampirfilm A Girl Walks Home Alone at Night, in der Endzeitfarce The Bad Batch oder eben aktuell im Kino mit Mona Lisa and the Blood Moon. Das Zeichen für den richtigen Moment, um mit der Katharsis zu beginnen, prangt in diesem Fall als Vollmond, der zusehends röter wird, am Nachthimmel. Dinge und Begebenheiten fügen sich zu einem großen Ganzen zusammen, das die Sehnsucht einer Ausgestoßenen erhört hat. Ein Märchen aus Hoffnung und hypnotischen Vibes also, welches Amirpour hier erneut zusammenmontiert. Sie bleibt ihrem Jargon treu, ihren distanzlosen Bildern und dem grellen Licht. Und dem lässigen Charakter einer zähen Gestalt, die nach ihrer eigenen Menschlichkeit und jener der anderen sucht.

    Mona Lisa and the Blood Moon, fast schon Amirpours bester und herzlichster Film, lebt auch nicht unwesentlich von einem perfekt arrangierten Musikmix aus experimentellem Elektropop und schmissigen Grooves, die Mona Lisas Odyssee akustisch untermalen und intensivieren. Dabei nähert sich die Kamera auch in unvorteilhaften Situationen ganz nah seinen Protagonisten, will sie ergründen und verstehen. Die Wide Angle-Optik kommt dem Vorhaben zupass, all die Bilder ergeben zwischen rastloser Traumartigkeit, comichafter Panel-Verliebtheit und Grunge-Elementen wie dreckigen Füßen, fettigem Fast Food und Erbrochenem ein Panoptikum schräger Begebenheiten mit viel Liebe für seine Underdogs – allen voran auch für den einnehmenden und charismatischen Jungdarsteller Evan Whitten, der die Geschehnisse mehr beeinflusst als ihm selbst lieb gewesen wäre und wir es jemals geahnt hätten. Diesem Trio auf Ab- und richtigen Wegen – mit stilsicherer Hand hingescribbelt, bunt aufgerüscht und mit Dialogen, die aus dem Bauch heraus und voller Impulsivität auf den Moment reagieren – folgt man gerne durch einen gewalttätigen und gleichsam zuckersüßen Großstadtthriller, der fast schon mondsüchtig werden lässt.
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    13.10.2022
    17:07 Uhr
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    New Orleans bei Nacht

    Exklusiv für Uncut
    2014 sorgte das Schwarzweiß-Drama „A Girl Walks Home Alone at Night“, welches auch als „erster iranischer Vampir-Western“ bezeichnet wurde, für so einige Furore am internationalen Filmfestivalhimmel. Die Regisseurin des Werkes, Ana Lily Amirpour, scheint nun wieder einen neuen Festivalhit geschaffen zu haben, statt der fiktiven iranischen Stadt „Bad City“ wird allerdings New Orleans von Amirpours skurrilen Charakteren aufgemischt. „Mona Lisa and the Blood Moon“ lief im Wettbewerb der 78. Internationalen Filmfestspiele in Venedig, in Österreich war der Film bereits im Zuge des Slash ½ zu sehen.

    Die titelgebende Mona Lisa (Jeon Jong-seo) findet sich nach ihrem Ausbruch aus der Psychiatrie in der Partyszene von New Orleans wieder. Hier macht sie schnell Bekanntschaft mit dem exzentrischen DJ Fuzz (Ed Skrein) und wenig später auch mit der Stripperin Bonnie Belle (Kate Hudson), die Mona Lisa bei sich zu Hause aufnimmt. Dies geschieht allerdings nicht ganz uneigennützig, denn Bonnie hat Mona Lisas Talent für Hypnose entdeckt und will dieses als Hilfsmittel für ihre Betrügereien nutzen. Doch schon bald ist ihnen Polizist Harold (Craig Robinson) dicht auf den Fersen. Und dann kommt dem ungleichen Duo auch noch Bonnies Sohn Charlie (Evan Whitten) in die Quere…

    Eines gleich vorweg: In „Mona Lisa and the Blood Moon“ erwartet einen mehr explizite Gewalt als gedacht. Was als regelrechter Body Horror beginnt, endet dann aber doch eher als philosophisches Gedankenexperiment rund um eine junge Frau, deren spezielle Fähigkeiten Fluch und Segen zugleich zu sein scheinen. Klingt unkonventionell? Ist es auch.

    Wir finden uns schnell in einem New Orleans voller Neonlichter und Disco-Musik wieder, was für eine ausgesprochen stimmige Atmosphäre sorgt. Der fulminante Soundtrack ergänzt die durchdachten Bildkompositionen äußerst passend, die Kameraführung von Pawel Pogorzelski („Midsommar“, „Hereditary“) unterstreicht die aufbrausende Stimmung nahezu perfekt. So wartet „Mona Lisa and the Blood Moon” auch mit allerhand komplexen Charakteren auf, die man nicht wirklich in Gut und Böse unterteilen kann und die sich ideal in die ausgefallene Welt von Ana Lily Amirpour eingliedern. Alles scheint im Endeffekt von einer dunklen Macht gesteuert, wenngleich die Beweggründe der Figuren trotz allem auch immer nachvollziehbar sind. Hauptdarstellerin Jeon Jong-seo entpuppt sich dabei als echter Glücksgriff und Kate Hudson brilliert hier in einer regelrechten Paraderolle.

    Manchmal etwas holprig erzählt, verzichtet das Drehbuch aber immerhin auf ein Klischee-Ende à la Hollywood und endet dann sogar mit einem zweckmäßigen Hoffnungsschimmer. Einiges wird im Laufe der Handlung angedeutet – beispielsweise Mona Lisas Nordkorea-Herkunft – und bis zum Schluss absichtlich offengelassen. Das mag vielleicht auf den ersten Blick etwas unkoordiniert erscheinen, auf lange Sicht macht diese Vorgangsweise allerdings schon Sinn und das Ganze gliedert sich so wenigstens gut in das Schema des Films ein.

    Fazit: Erzähltechnisch ausbaufähig, atmosphärisch top!
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    26.06.2022
    10:19 Uhr