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    Hierarchien im Spinnennest

    Ob Marvel oder DC – die weltgrößten Comic-Franchises mussten sich einfach irgendwann mit dem Clou der Multiversum-Theorie auseinandersetzen, um genügend frischen Wind in die Denk- und Zeichenstudios wehen zu lassen; um genügend Stoff zu lukrieren, damit die guten alten Helden niemals sterben müssen. Das Multiversum bietet vieles – ungeahnte Möglichkeiten, zahlreiche Welten, viele viele Alternativen. Und ein Ende ist nicht absehbar. Ja, sie haben es sich gerichtet – Marvel und DC.

    Von einem Multiversum ins nächste zu hirschen besagt aber nicht, auch mit der Zeit herumzuspielen. Zumindest nicht zwingend. Der gute Loki, nordischer Gott des Schabernacks, hielt sich in gleichnamiger Serie nicht nur in diversen Nachbardimensionen auf, er beehrte auch längst vergangene Zeiten, um sich hinter lokalen Apokalypsen wie dem Unglück von Pompeij vor der TVA zu verstecken. Spider-Man Miles Morales tut das nicht, auch nicht Peter Parker in den Live Act Filmen, obwohl er vorgehabt hat, mithilfe von Dr. Strange genau das zu tun: Die Welt vergessen zu lassen, welche Identität hinter der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft steht (siehe Spider-Man: No Way Home). In beiden Fällen überlappen sich allerdings die Dimensionen, und wir, gemeinsam mit den Spider-Mens, kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie viele Alternativen es von der eigenen Realität nur geben kann.

    Das Konzept dahinter ist ja schön und gut. Und bietet eine gigantische Bühne für skurrile bis groteske Erscheinungsformen, absurden Konstellationen und unbegrenzten Möglichkeiten. Wie lange aber lässt sich diese reizvolle Idee noch interpretieren, damit das Publikum immer noch staunen kann? Wie lange lässt sich damit noch herumspielen, ohne dass sich so mancher Twist wiederholt oder die gesetzten Pointen auf der Stelle treten? DC fängt mit seinem Multiversum rund um Flash, basierend auf dem Comic Flashpoint, gerade erst an. Marvel hat da schon einige Kilometer hinter sich. Und hängt mit dem Sequel zu Spider Man: A New Universe noch ganz viel Spider-Versen hintendran. Es eröffnen sich in diesem mit über zwei Stunden Spielzeit auffallend und deutlich zu langen Animationsabenteuer Welten über Welten, in denen Spinnenmänner, -frauen und sonstige Kreaturen die Rollen von Morales oder Parker einnehmen. Ist schließlich vielfältig und kurios und auch sehr unterhaltsam, das alles zu sehen. Dabei ist es gut, im Kinosaal entsprechend weit hinten zu sitzen, um die Farb- und Stilkaskaden eines ausufernden Comic-Tornados auch wirklich in seinem Variantenreichtum aufnehmen zu können. Das Auge ermüdet dabei schnell, kalmierende Sequenzen rund um innerfamiliäre Probleme der Superheldinnen und -helden sorgen für die Eindämmung gnadenloser Reizüberflutung und bringen den Ausgleich. Obwohl weder das eine noch das andere niemals etwas ist, was neue Impulse bringt.

    Überraschend wenig lassen sich Phil Lord, Christopher Miller und David Callahan zum Thema Multiversum einfallen. Außer dass es viele Versionen vom gleichen gibt. Die Stärken von Spider-Man: Across the Spider-Verse liegen also keinesfalls im diesmaligen Plot, der den quantentechnisch ziemlich zerlegten Wissenschaftler Jonathan Ohnn als Antagonisten ins Zentrum stellt, der als Spot zum im wahrsten Sinne des Wortes unfassbaren Verbrecher mutiert, der Löcher schafft, wo keine sind. Die Stärke liegt zweifelsohne in der Charakterisierung von Miles Morales, der im Laufe seiner unglaublichen Reise zu einem ernstzunehmenden jungen Erwachsenen heranreift, der den Weltenwahnsinn zu verstehen versucht.

    Schon wieder Coming of Age? Im Grunde haben wir das alles schon durch: Eltern, die keinen Schimmer davon haben, was ihre Kids anstellen, und diese wiederum aufgrund ihrer Geheimnistuerei den Draht zu ihnen verlieren, Wen wundert’s – und wen überrascht auch noch das innerfamiliäre Pathos, das die USA so sehr so oft und immer wieder ähnlich aufs Neue aufwärmt. Im Marvel-Kosmos ist hinsichtlich dessen schon alles gesagt, und dennoch verstehen es die Macher nur zu gut, das Ganze nochmal so aufzubereiten, dass man gerne hinhört und mit Spannung darauf wartet, ob Morales nun die Karten auf den Tisch legt oder nicht.

    Mit weniger Spannung verwöhnt uns der schnell und schwungvoll geschnittene Streifen mit Sprung-, Flug- und akrobatischer Sequenzen, die je nach Dimension in einen anderen Animationsstil eintauchen. Der Mix daraus ist unvermeidlich, die Übersicht dabei zu behalten eine Challenge. Mir als Grafiker gefällt natürlich, was ich da sehe – all die lebendig gewordenen Panels, hinterlegt mit den Dots charakteristischer Siebdruckraster. Versetzte Farbkanäle im Hintergrund erzeugen Unschärfe und folglich Tiefe; nichts bleibt hier flach. Und je mehr all die multiuniversalen Spinnen hin und her huschen und sich selbst überholen, je eher nähert sich das Ende eines halben Abenteuers. Der Cliffhanger ist enorm, doch keine Sorge: Im März nächsten Jahres startet Spider-Man: Beyond the Spider-Verse. Bis dahin werde ich vermutlich alle Details wieder vergessen haben. Manches wird in Erinnerung bleiben. Wie im ersten Teil das Schwein. Hier im zweiten Teil ist es vielleicht der Dino.


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    10.06.2023
    17:01 Uhr
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    Wirr und verrückt, aber schön animiert und unterhaltsam

    Das Konzept des "Spider-Verse" ist eine geniale Idee für die Produzenten, nahezu jede Geschichte erzählen zu können, auch wenn sie noch so schräg ist - denn es gibt ja dieses eine von abertausenden anderen Universum, wo das so ist. In dem zweiten Animationsfilm bleiben sie diesem Konzept treu, nutzen aber zugleich das dadurch mögliche Potential voll aus. Die erzählte Geschichte (oder Geschichten?) über einen von vielen anderen Spider-Men springt nahezu willkürlich zwischen den Schauplätzen hin und her und fordert vom Publikum einige Konzentration will es den Überblick nicht gänzlich verlieren. In diesem Wirrwarr von verrückten Ideen (und Bösewichten) bietet der Film aber auch jenen, die ihn verloren haben, tadellose Unterhaltung und viel Schönes zum Schauen: die Animation folgt konsequent dem Stil gezeichneter Comics und sorgt für ein Erlebnis, als würde man ein Comic-Heft aufschlagen und plötzlich werden die Figuren zum Leben erweckt. Die Schatten-, Raster- und Farbeffekte, wie man sie aus den Heften kennt, werden hier zum Stilmittel des Filmes. Alleine dafür ist er schon mehr als sehenswert.
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    02.06.2023
    15:45 Uhr
  • Bewertung

    Everything, everywhere, all arachnid

    Exklusiv für Uncut
    Mit „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ bringt Sony die perfekte Fortsetzung zum Überraschungshit von 2018. Verrückter, kreativer, emotionaler - der „ultimative Spider-Man“.

    Ein Jahr ist vergangen, seit Miles Morales das erste Mal mit dem Multiversum konfrontiert wurde. Als frisch gebackener „Spider-Man“ lebt es sich nicht leicht zwischen Alltagsproblemen und Verbrecherjagd. In seinem Kopf dominiert die Sehnsucht nach Gwen, die er seit den Vorfällen damals nie wieder gesehen hat. Dann taucht die aber plötzlich in seinem Zimmer auf und alles scheint wieder von vorne los zu gehen. Allerdings ist die Bedrohung diesmal um einiges größer…

    Getreu den Titeln, nahm uns Teil 1 das erste Mal mit INS Spider-Verse, Teil 2 geht wieder einen Schritt weiter und streift mit uns DURCH die unendlichen Möglichkeiten der Paralleluniversen. Erneut also ein Film, der das Konzept „Multiversum“ interessanter ausspielt, als einer mit dem tatsächlichen Begriff in seinem Titel. Und erneut ein Beispiel wie guter Fan-Service funktionieren kann, wenn er nicht im Vordergrund steht. Damit wirkt der Film für mich wie der, der „No Way Home“ gerne wäre. Die zahlreichen Referenzen lassen vermutlich jedes Kennerherz höher schlagen, für mich als Nicht-Comicleser sorgen sie einfach für eine gehörige Portion Humor. Ob Punk, Roboter oder Dinosaurier, nahezu jede Version eines Spider-Mans, die man sich vorstellen kann sie ist hier vertreten. Wer etwas erkennt, wird sich freuen, wer nicht, dem entgeht auch nichts.

    Aber auch für den Otto Normal Zuschauer hält der Film einige Überraschungen bereit. Ein spätes Embargo vor Veröffentlichung ist ja meist ein schlechtes Zeichen, ich kann da beruhigen, das dient in diesem Fall wirklich nur dazu all die eventuellen Spoiler unter Verschluss zu halten, worum die Mitautoren und -produzenten Phil Lord und Chris Miller in einem Einspieler zu Beginn auch explizit bitten. Ich kann mich dem Aufruf nur anschließen: Bitte versaut es den anderen nicht!

    Die Gags zünden dazu auch in einem Tempo, dass man schwer hinterher kommt. Wie eine Spidey-Version im Film selbst sagt, „wir sollen ja lustig sein“. Ein gewisser Witz und Schlagfertigkeit haben den Charakter immer ausgemacht. Und trotzdem steckt eine extreme Schwere in der Geschichte, mit dem Fokus auf den Charakteren. Was besonders beeindruckt ist, wie sie es geschafft haben Miles und Gwen beide als Hauptfiguren auszubalancieren. Das Drama berührt, und dazwischen knallt jede Menge verrückte Action. Den Titel für meine Kritik hab ich demnach nicht zufällig ausgewählt, denn tonal hat er mich stark an jenen diesjährig ausgezeichneten Besten Film erinnert.

    Selten hat ein Film so sehr verstanden (und gleichzeitig hinterfragt), was den Spinnenmann eigentlich ausmacht. Man denke nur an den Satz mit der Verantwortung (den ich hier nicht wiederholen muss). Wie soll man denn mit all den Superkräften noch eine unbeschwerte Jugend erleben, Verbrecher jagen aber den schulischen und häuslichen Pflichten nachkommen? Immer den Wunsch das Richtige zu tun, doch was ist das überhaupt? In der Raimi-Trilogie, kam das meiste zwar gut rüber, leider fiel es mir immer schwer Tobey Maguire als Teenager ernst zu nehmen (aber fürs Protokoll ich bin ein großer Fan seines Spider-Mans). Ähnliches gilt für die Andrew Garfield Ära. Tom Holland war zwar vom Alter her näher dran, ihm schien aber stets (vermutlich auch aufgrund seiner Stark Technologie) alles viel zu leicht von der Hand zu gehen. Hier konnten sie nun auch das Teenager-Dasein mit all seinen Problemen glaubhaft rüberbringen, und Miles für mich zu DER Spidey-Version schlechthin machen.

    Spider-Man ist ja auch bekannt für seine illustre Runde von Bösewichten. Die namhaftesten verkommen hier lediglich zu Cameoauftritten und auf den ersten Blick haben sie sich vielleicht den langweiligsten ausgesucht. „The Spot“ wird sogar relativ unscheinbar eingeführt, entwickelt sich aber sehr schnell zu einem erinnerungswürdigen, vielschichtigen und bedrohlichen Widersacher.

    Der Animationsstil ist wie im Vorgänger sehr ansprechend, und trotzdem hat man das Gefühl, dass sie irgendwie noch einen drauf gesetzt haben. Gewisse Einstellungen wirken wie direkt aus einem Comic gegriffen, mitsamt allen Details. Auch der Einsatz des Soundtracks passt sehr harmonisch dazu, vor allem der großartige Prolog hat fast etwas musikvideohaftes.

    In dieser Flut an Eindrücken könnte man sich leicht verlieren, es bewegt sich schon an der Grenze zu „zuviel“. Mit 140 Minuten ist es auch der längste Animationsfilm aller Zeiten, aber die vergehen wie im Flug. Mir war zwar vorher bewusst, dass es sich um die Hälfte einer Geschichte handelt (der nun als „Beyond the Spider-Verse“ titulierte dritte Teil, trug ja ursprünglich den Namen „Across the Spider-Verse: Part 2“). Doch das Cliffhanger Ende kommt dann so plötzlich, weil man gar nicht mitbekommen hat, dass gerade über 2 Stunden vergangen sind. Ich kann kaum erwarten, wenn es schließlich weiter geht.

    Seit Jahren schreien ja Fans danach, die Spider-Man Rechte doch bitte an Marvel Studios zu retournieren. Ich kann nur sagen, wenn so etwas dabei rauskommt, sollen sie ruhig für immer bei Sony bleiben.
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    31.05.2023
    17:32 Uhr