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    1, 2, 3 ... und das Leben ist vorbei

    Exklusiv für Uncut vom Sundance Film Festival
    Bisher kennt man Jerrod Carmichael in erster Linie als Stand-Up-Comedian und Schöpfer der semi-biographischen (hierzulande aber kaum bekannten) NBC-Sitcom „The Carmichael Show“.Mit seinem Regiedebüt „On the Count of Three“ wagt der talentierte Komiker und Schauspieler nun den ambitionierten Versuch, unter die Filmemacher zu gehen. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen.

    Carmichaels Langfilmdebüt erzählt die Geschichte zweier Freunde, die beide eine depressive Phase durchleben und deshalb einen Suizidpakt schließen. Val (Carmichael selbst) hat seinen monotonen Berufsalltag leid und wird zudem von Beziehungsproblemen geplagt. Sein bester Freund Kevin (Christopher Abbott) hat hingegen bereits seit Kindheitstagen mit schweren Depressionen zu kämpfen und hält sich wegen eines aktuellen Selbstmordversuchs gerade in einer Nervenheilanstalt auf. Als Val seinen Kumpel spontan aus der Klinik befreit, schildert er ihm seinen waghalsigen Plan: er will, dass die beiden einander gegenseitig mit Schusswaffen das Leben nehmen. Bevor der Plan jedoch noch am selben Tag in die Tat umgesetzt werden soll, möchten die zwei Freunde ungelöste Probleme mit Personen aus ihrer Vergangenheit klären. Was folgt ist ein wilder und nicht ganz blutarmer Ritt, der anders verläuft, als erhofft.

    Gleich zu Beginn wird klar deutlich, dass es sich hier, trotz der Comedy-Vergangenheit des Regisseurs, keinesfalls um eine reine Komödie handelt. Das innere Leid der beiden Protagonisten ist von Anfang an erkennbar und wird auch die gesamte Laufzeit über ernstgenommen. Zwar fasst Carmichael das Thema Depression nicht mit Samthandschuhen an, erstellt aber ein äußerst glaubhaftes Abbild mentaler Gesundheitsprobleme. Einen wichtigen Beitrag dafür leisten die beiden Hauptdarsteller. Während sich Jerrod Carmichael in seinem Regiedebüt erstmals als Schauspieler des dramatischen Fachs versucht und diese Herausforderung meistert, ist es vor allem der sensationelle Christopher Abbott, der eine wahrhaftige Glanzleistung hinlegt. Abbott stellt die gebrochene Psyche Kevins und die Folgen dessen erlittener Kindheitstraumata vollkommen authentisch und roh dar. In Nebenrollen überzeugen weitere eher mit Comedy assoziierte Schauspieler*innen wie Tiffany Haddish („Girls Trip“) oder Urgestein Henry Winkler („Happy Days“, „Barry“) in unerwartet ernsten Momenten.

    Bei aller Tragik, die dem Werk zugrunde liegt, lässt Carmichael aber auch immer wieder seinen komödiantischen Sensibilitäten freien Lauf. So verschlägt es die Protagonisten mehrfach in absurde Situationen, die von köstlichem Galgenhumor durchzogen sind. In einer besonders amüsanten Szene wird Christopher Abbotts Kevin aufgrund seiner blond-gefärbten Locken von einer anderen Figur als „ramen-noodle-headed motherfucker“ beschimpft. Auch die Songauswahl hält so manch unerwartet lustigen Moment parat. Ob nun ein absurd-singender Wandfisch oder die mehrmalige, selbstironische Verwendung der Papa Roach-Hymne „Last Resort“: selbst in der musikalischen Untermalung spiegelt sich Carmichaels treffsicheres Gespür für Komik wieder.

    Je weiter der Film aber aufs pure Chaos zusteuert, umso ernster wird der Ton. Im letzten Drittel nimmt das Regiedebüt gar schon thrillerartige Züge und erinnert in seiner kontinuierlich dramatischeren Zuspitzung der Ereignisse an ähnliche Genrevertreter wie „Good Time“ von den Safdie-Brüdern (Christopher Abbotts Figur gleicht optisch sogar dem damals von Robert Pattinson verkörperten Connie). An manchen Stellen wirkt es zugegebenermaßen so, als wolle der Film im letzten Drittel plötzlich zu viele Zutaten auf einmal in den Topf schmeißen. Es lässt sich aber kaum bestreiten, dass der Film aufgrund seines äußerst gelungenen Spannungsaufbaus in ein nervenzerreißend intensives Finale mündet. Lediglich der letzte narrative Kniff hinterlässt einen unzufriedenstellenden Eindruck und wird bestimmt für reichlich Gesprächsstoff sorgen. Auch das finale Schlussbild fühlt sich in seiner Rührseligkeit nicht unbedingt verdient an.

    Abseits dieser kleinen Problematiken, lässt sich „On the Count of Three“ nichtsdestotrotz als völlig gelungenes Regiedebüt bezeichnen, das Comedian Jerrod Carmichael eine vielversprechende Zukunft als Filmemacher garantieren sollte. Ein gekonnter Mix aus schwarzer Komödie, hochspannendem Thriller und melancholischer Charakterstudie!
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    01.02.2021
    15:38 Uhr