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83.3% Bewertung
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    Beeindruckendes Gerichtssaaldrama

    Aaron Sorkin hat für diesen Film nicht nur ein (weiteres) unverwechselbares und großartiges Drehbuch geschrieben, sondern zeichnet auch für die Regie verantwortlich. Mit sehr viel Gefühl für die Verschiedenheit der Charaktere und zugleich der richtigen Portion Pepp hält er sein Publikum trotz des potentiell einfachen Settings bis zum Schluß bei Laune und die Spannung bleibt aufrecht. Die historischen Bezüge zu den damals tatsächlich passieren Ausschreitungen und zum Vietnamkrieg geben der Geschichte zusätzliches Gewicht und lassen viele Fragen, um die es im Prozess geht, bis heute aktuell erscheinen. Der Film ist aber nicht nur was für politisch Interessierte oder Fans der US-amerikanischen Geschichte, sondern überzeugt mit seinen Schauspielern und den feinen, flotten und zugleich scharf zugespitzten Dialogen.
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    05.12.2020
    22:07 Uhr
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    „The whole world is watching!“

    Exklusiv für Uncut
    Das Schaffen Aaron Sorkins spaltet die Gemüter. Die einen halten den 59-jährigen US-Amerikaner für einen der talentiertesten und cleversten Drehbuchautoren unserer Zeit, die anderen empfinden seinen theatralischen Schreibstil als selbstgefällig oder gar pathetisch. Und auch wenn ich mich selbst klar ins erstere Lager einordnen würde, lässt sich eine gewisse Arroganz und Süffisanz im Œuvre Sorkins kaum leugnen. Am besten funktionieren die dialoglastigen Drehbücher des Amerikaners, wenn Sorkin mit Regisseuren gepaart wird, die eine passende Bildsprache für den temporeichen Schreibstil des Autoren finden. Filmemacher wie David Fincher oder Danny Boyle kreierten für „The Social Network" und „Steve Jobs“ jeweils Ästhetiken, der einwandfrei mit dem Erzählstil Sorkins harmonierten. Vor knapp drei Jahren nahm der einstige Bühnenautor erstmals selbst Platz im Regiestuhl. Die dabei herausgekommene auf wahren Begebenheiten beruhende Romanverfilmung „Molly‘s Game“ schwächelte im Vergleich zu seinen bisherigen Arbeiten etwas – wenngleich der Film als Ganzes immer noch grundsolides Erzählkino darstellte. Sorkins Regiedebüt fehlte es im Gegensatz zu seinen vorangegangen Werken jedoch an einem angemessenen Rhythmus, der die Masse an Dialogen des schlagfertigen Skriptschreibers leichter verdaulich gemacht hätte. Viel zu chaotisch wechselte man von einer Rückblende in die nächste und überflutete das Publikum förmlich mit einer Vielzahl schwer verarbeitbarer Informationen, die einem kaum Zeit zum Durchatmen ließen. Trotz nicht gänzlich unberechtigter Kritik, nahm Sorkin für die Netflix-Produktion „The Trial of the Chicago 7“ nur wenige Jahre später gleich nochmal das Regiezepter in die Hand. Und siehe da: der bewanderte Drehbuchautor scheint sich auch als Filmemacher weiterentwickelt zu haben.

    In seiner zweiten Regiearbeit blickt der Schöpfer von „The West Wing“ in dramatisierter Form auf einen berüchtigten Gerichtsprozess zurück, der zwischen 1969 und 1970 über die Bühne ging. Acht Polit-Aktivisten – unter ihnen: der lautstarke Anarchist Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen), der vergleichsweise zurückhaltende Tom Hayden (Eddie Redmayne), der radikale Pazifist David Dellinger (John Caroll Lynch) oder mit Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II) gar einer der Mitbegründer der einflussreichen „Black Panther Party“ – werden zu Gericht beordert. Ihnen wird vorgeworfen, bei gegen den Vietnamkrieg und das Establishment gerichtete Proteste, die im Angesicht der Democratic National Convention 1968 in Chicago stattfanden, gewalttätige Krawalle und Unruhen ausgelöst zu haben. Vertreten wird die bunt zusammengewürfelte Truppe aus linken Aktivisten (zuerst „Chicago 8“, später aber dann „Chicago 7“ genannt) vom bekannten Bürgerrechtsanwalt William Kunstler (Mark Rylance). Ihm gegenüber steht der ambitionierte Staatsanwalt Richard Schultz (Joseph Gordon-Levitt), der von der Nixon-Regierung höchstpersönlich dazu beauftragt wurde, den Prozess gegen die vermeintlichen Unruhestifter zu führen. Über das Schicksal der Aktivisten soll der gleichermaßen boshafte wie auch inkompetente Richter Julius Hoffman (Frank Langella) entscheiden, dessen streng konservatives Weltbild nicht selten durch den Prozess hindurch scheint. Zur selben Zeit versammeln sich zahlreiche Demonstrant*innen vor dem Gerichtssaal, um den zu Unrecht vor Gericht berufenen Aktivisten beizustehen. Ein langwieriges Verfahren, das kein Ende zu finden mag.

    Demonstrant*innen, die in Scharen gegen soziale Ungleichheit auf die Straßen gehen oder Polizisten, die mit Tränengas und Schlagstöcken auf friedliche Protestierende losgehen. Bilder wie diese sind es, die erschreckend aktuell und vertraut erscheinen. Aaron Sorkin mag die Erstfassung des Drehbuchs zwar bereits schon vor über zehn Jahren geschrieben haben, der gezeigte Inhalt lässt aber Erinnerungen an aktuelles Zeitgeschehen hochkochen. Egal ob nun freiwillig oder nicht: Sorkin zeichnet mit seinem Porträt der 68er-Proteste und dem daraus entstandenen Gerichtsprozess ein Abbild einer von sozialen Ungleichheiten zerrütteten und zutiefst gespaltenen US-Gesellschaft, bei dem Vergleiche zur Gegenwart mit Sicherheit nicht aus der Luft gegriffen sind. Auch durch die unterschiedlichen Haltungen und Gesinnungen innerhalb der im Film auftretenden linksgerichteten Polit-Aktivisten lassen sich spannende Parallelen zum Hier und Jetzt entdecken. So haben wir auf der einen Seite anarchisch gestimmte Leute wie Abbie Hoffman und Jerry Rubin („Succession“-Star Jeremy Strong), die jegliche Form von Staatsgewalt verachten und gar durch den Kakao ziehen – auf der anderen Seite dann aber auch jemanden wie Tom Hayden, der in seinem vergleichsweise bürgerlichen Auftreten teilweise den Eindruck vermittelt, als würde er seine eigenen Werte verraten, nur um selbst einem möglichen Gefängnisaufenthalt zu entkommen.

    Wie es bei Sorkin üblich ist, sind es auch hier wieder die rasanten Dialogszenen, die dem Film als Hauptantrieb dienen. Der Drehbuchautor ist im Setting des Gerichtssaals sichtlich gut aufgehoben und verwandelt diesen in einen aufregenden Schauplatz der explosiven Wortgefechte. Ein Schlagabtausch folgt den nächsten – das Tempo bleibt durch präzise Schnittarbeit konstant hoch und verliert nie an Spannung.

    Die hochkarätige Besetzung, bei der Schwachstellen gänzlich ausbleiben, tut das Übrige dazu. Oscar-Preisträger Eddie Redmayne präsentiert sich einmal mehr als wahrhaftiges Schauspiel-Chamäleon und mimt den mit einem für den britischen Schauspieler ungewohnten US-Akzent ausgestatteten Tom Hayden mit glaubwürdiger Miene und hoher Intensität. Frank Lagella geht in seiner Rolle des schurkischen Richters Julius Hoffman auch vollkommen auf und Oscar-Gewinner Mark Rylance stellt den heroischen Gegenpart des Bürgerrechtsanwalts ebenso glaubhaft dar. Yahya Abdul-Mateen II, der für seine Rolle in der HBO-Serienadaption von „Watchmen“ erst kürzlich einen Emmy mit nach Hause nehmen durfte, wird zwar nicht allzu viel Screentime zuteil, dafür nimmt er diese aber alleinig mit seiner kraftvollen Präsenz ein, die in einem der unbequemsten Momente des Films mündet. Für viele wird es aber ausgerechnet „Borat“-Star Sacha Baron Cohen sein, der die am positivsten auffallende Schauspieldarbietung gibt. Der für satirische Eigenfiguren bekannt gewordene Comedian ist die perfekte Besetzung für den Anarcho-Aktivist Abbie Hoffman, der sich nach außen hin als Clown, der keine Regeln kennt, präsentiert. Ähnlich wie auch beim echten Sacha Baron Cohen steckt hinter diesem Clownsimage, mit dem man medial Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte, ein hochintelligentes Individuum mit vielerlei eigenen Ideen, um eine politische Revolution hervorzubringen. Je mehr Hofmann im Film seine ernsten, intellektuellen Seiten zum Vorschein kommen lässt, desto mehr beeindruckt Cohen als zuvor kaum gesehener Schauspieler des dramatischen Fachs.

    Im Gegensatz zu Sorkins Vorgängerwerk „Molly‘s Game“ wurden hier die Flashback-Sequenzen deutlich organischer ins Narrativ und den Schnitt verwoben, um mögliche Unstimmigkeiten zu vermeiden. Als zusätzliches Erzählmittel kommt eine haargenau an den Rhythmus des Films angepasste Stand-Up-Routine von Abbie Hofmann zum Einsatz, bei der dieser die Ereignisse des Gerichtsprozesses und der vorangegangen Proteste überspitzt Revue passieren lässt. Lediglich in Puncto Bildsprache, die immer noch etwas unterkühlt wirkt, lässt Sorkin zu wünschen übrig. Da sich sein Drama aber zum größten Teil im Gerichtssaal abspielt, fällt dieser minimale Kritikpunkt kaum ins Gewicht.

    Aaron Sorkin hat mit „The Trial of the Chicago 7“ ein energiegeladenes und erschreckend relevantes Gerichtsdrama geschaffen, das mit einer erstklassigen Darstellerriege und ehrlichem amerikanischen Pathos garniert wurde. Aufwühlendes politisches Kino der feinsten Sorte!
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    10.10.2020
    20:31 Uhr