1 Eintrag
1 Bewertung
75% Bewertung
  • Bewertung

    Wie die Synthwave das Kino zurückeroberte

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Im Kino kam es im vergangenen Jahrzehnt zu einer kleinen Renaissance der 80er-Jahre. Nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch und akustisch wurde mehrfach versucht, diese längst vergangene Dekade für Film und Fernsehen wiederauferstehen zu lassen. Ein beliebtes Stilmittel der Achtziger, das in den vergangenen Jahren wieder vermehrt zum Einsatz kam, ist zum Beispiel die Verwendung elektronischer Musik. In den 80ern erfreute sich die sogenannte Electro Wave, die in der Regel mithilfe von Synthesizern erzeugt wurde, sowohl unter Bands der New-Wave-Bewegung (wie z.B. Depeche Mode) als auch im Kino (vor allem im Genrebereich) hoher Beliebtheit. Mitte der 2000er-Jahre gab es in Form der sogenannten Synthwave, die sich klar an den synthetisch hergestellten Klängen der Achtziger orientierte, ein kleines Revival dieser mit nostalgischen Gefühlen verbundener Form der Musik – wenn auch zunächst nur in der Underground-Szene. Regisseur Iván Castell versucht in seiner Doku „The Rise of the Synths“ den Ursprüngen dieser Retromusik sowie wie diese wieder Einzug ins Kino fand auf den Grund zu gehen, und lässt auch die oft vergessenen Künstler*innen dahinter zu Wort kommen.

    Castells Dokumention wurde durch Zwischensegmente, in denen ein namenloser Protagonist mithilfe eines DeLorean-Wagens aus der Zukunft zurück ins Jahre 1979 reist, in eine fiktive Rahmenhandlung verpackt. Im Hintergrund ertönt die Stimme von niemand geringeren als Altmeister John Carpenter, der für den Film als Erzähler gewonnen werden konnte. Carpenter, der als Regisseur und Komponist stylisher 80er-Klassiker wie „Die Klapperschlange“ (Escape from New York) einen maßgeblichen Einfluss auf die Synthwave-Musik hatte, eignet sich natürlich perfekt dazu, die Doku mit einem Voice-Over zu begleiten – selbst wenn dieser seine Sätze relativ monoton vorliest. In gerade einmal 80 Minuten Laufzeit greift die Doku eine Vielzahl an Themen auf, die in Zusammenhang mit der Wiederkehr retro-nostalgischer Stilelemente stehen. Unter anderem setzte sich Regisseur Castell mit erfolgreichen Synthwave-Gruppen wie „80s Stallone“ und „Electric Youth“ für Interviews zusammen, in denen sie ihre jeweiligen Inspirationsquellen nannten. Ebenso wird ausführlich erläutert, wie Nicolas Winding Refns kultiger Neo-Noir-Thriller „Drive“ aus dem Jahre 2011, der für seinen Synth-Soundtrack des französischen Künstlers Kavinsky vielfach gepriesen wurden, der Synthwave dazu verhalf, ins Mainstreamkino integriert zu werden.

    Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass an Stellen eine gewisse „früher war alles besser“-Attitüde mitschwingt. An einem Moment der Doku spricht ein Musiker gar darüber, wie post-moderne Meta-Verschachtelungen angeblich das Kino ruiniert hätten, und die Rückkehr alter Erzähl- und Stilmittel – was sich anhand einer Erfolgsserie wie „Stranger Things“ erkennen ließe – für ein Comeback ehrlich und stringent erzählter Filme, die frei von Zynismus und jeglicher doppelter Böden sind, gesorgt hätte. An anderen Momenten wird aber auch ebendieser pure Nostalgierausch, den viele mit der Synthwave assoziieren, kritisch betrachtet. Die Doku kommt nämlich zum Entschluss, dass die Synthwave mehr ist als nur ein reines Produkt unserer Nostalgie, das uns an vermeintlich bessere Zeiten zurückerinnern lässt. Wie die meisten Musikrichtungen hat sich auch synthetisch produzierte Elektromusik über die Jahre stark verändert und weiterentwickelt. Ein maßgeblicher Einfluss der Achtziger lässt sich in der Synthwave natürlich kaum wegleugnen, dennoch gelingt es den meisten Künstler*innen dieser neuartigen Musikbewegung aus den gegebenen Zutaten dieses glorreichen Jahrzehnts neue Klänge zu kreieren, anstatt just Altes zu reproduzieren.

    Iván Castell wirft mit „The Rise of The Synth“ einen unterhaltsamen wie auch informativen Blick auf den Aufstieg einer omnipräsenten, neuartigen Musikrichtung im Kino, die stark von vergangenen Zeiten inspiriert wurde. Eine gesunde, kritische Sucht auf Nostalgie darf auch nicht fehlen. Sehenswert!
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    03.10.2020
    10:14 Uhr