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    Der Abgrund, aus dem das Feuer grinst

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Schon im Vorspann zeigt sich der Film nicht schwarz, sondern gebrochen, körnig, kaputt. Keine glatte Fassade, sondern ein Hintergrund, auf dem das Leben Spuren hinterlassen hat, die nicht mehr wegzuwischen sind. Wie im Leben der Protagonistin. Filmbilder, die sich übereinanderlegen, sich gegenseitig verdecken und ergänzen.

    Das erste Bild ein Tisch mit heller Plastiktischdecke, auf die altmodische Blumen gedruckt sind. Gelb. Orange. Rundherum Wald. Herbstlicht. Der Aschenbecher eine Muschelschale, die glänzt und in die zwei Zigarettenstummel geduckt sind. Eine Flasche auf dem Tisch, ein Schraubenzieher, der etwas hineindrückt. Eine Hand mit rotlackierten Nägeln und einem Ring, die eine Flüssigkeit einfüllt. Eine kopflose Stimme, die dazu spricht. „Purer Alkohol“. Dann eine Frau im Wald und die brennende Flasche. Sie wirft in Zeitlupe.

    Die Regisseurin Camila José Donoso inszeniert ihre Großmutter in einer Geschichte über eine Hausfrau, die sich an ihrem früheren Geliebten, der sie verfolgt hat, rächt und dessen Truck anzündet. Deren Tochter bringt sie deshalb aus Santiago de Chile weg in die Küstenstadt Pichilému. Kurz wirkt der Film wie ein Road Movie, die beiden Frauen im Rückspiegel, die Augen der Tochter und die spiegelnde Sonnenbrille der Mutter, Josefina, hinter deren Gläsern man nichts erkennen kann. Sie lässt sich nicht in die Karten schauen. Im Seitenspiegel nochmals Josefina, mit Kopftuch und Sonnenbrille, lässt einen an „Thelma & Louise“ denken. Dazu Musik. Wieder gebrochene Bilder.

    Dann aber in der Küstenstadt. Dort verfolgt man Josefina im Alltag, wie sie putzt, Wäsche aufhängt, im Garten herumgeht, jemandem Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt. Immer wieder brennen Häuser in der Nachbarschaft nieder, anfangs nennt Josefina es „Niemandsland“, es wird niemanden kümmern. Doch als die Brände häufiger werden, beginnen die Bewohner sich zu wundern. Auch der Teufel wird ins Spiel gebracht. Immer wieder sieht man verbranntes Land, zusammengefallene Häuser.

    Im Film wird immer wieder scharfes, reines Material mit Überblendungen, auf 16mm Gedrehtem und Bildüberlagerungen abwechseln.

    Wir sehen eine gepflegte ältere Frau, die Stärke ausstrahlt und Ordnung, in deren gefärbtem Blond kein weißer Rand wächst, deren Frisur perfekt sitzt, deren Kopftuch modisch und teuer wirkt, deren Lippen rot geschminkt sind und die gerne rote Kleider trägt. Das ist das scharfe, äußere Bild.

    Außerdem sehen wir eine Frau, deren Haare vom Kopf abstehen, die mit ihrer Tochter durch die Landschaft fährt, an Staudämmen vorbei, eine Kappe wie ein Tourist über den Ohren, ein einfaches T-Shirt an, die lachen und tanzen kann, während sie am Tisch sitzt, und ihr Oberkörper mitwippt, die Lockenwickler am Kopf hat. Das ist das zweite Bild, das überlagert wird, überlappt. Die Frau, die Wäsche aufhängt, das Waschbecken mit der Zahnbürste abreibt, sich Pflanzen um den Kopf wickelt und im Garten Geschichten erzählt. Sie schaukelt für ihre Enkeltochter, als wäre es ein Dokumentarfilm. „Schaukelst du auch, wenn du alleine bist?“, fragt sie diese. Aber das tut sie nicht, denn die Schaukel ist verzogen.

    So verzogen wie auch dieses zweite Bild, das sich mit dem der geordneten Frau nicht zusammenfügen will. Der lebendige wilde Teil, der sich der Gesellschaft nicht unterordnet, der nicht kuscht und brav mit sich machen lässt, was die anderen wollen. Der den früheren Lieblingspyjama zum Fußabtreter macht. Das ist das Bild einer Frau, die so gerne in die Flammen sieht, dass ihre Augen davon verbrannt werden und sie eine Operation braucht.

    Wir beobachten diese Frau, wie sie so gebannt ins Feuer schaut, dass es Dreiecke in ihren Augen malt. Wie sie in ihrem roten Kleid als Schatten über die Mauer huscht. Wie das Feuer sie stark macht, lebendig. Es löscht die Erinnerung an die Männer, die ihr mit ihrem Schlauch die Wohnung nassgemacht haben, alles unter Wasser gesetzt, so dass ihr nur mehr bleibt, sich in ein nasses Betttuch einzuwickeln, wenn sie schlafen gehen will.

    Dieser Transfiction-Film, der dokumentarische Elemente in seine Handlung einflicht, lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Er spielt mit der Symbolik von Farben (rot-blau), der Undurchlässigkeit von Spiegelungen, der Faszination von Feuer im Glas, im Spiegel, im Fenster, den Bildern rauchender Frauen, den Assoziationen und Unsicherheiten, die Überblendungen in den Zusehern hervorrufen. Verbrannter Film, zerstörter Film. Er zeigt, dass es keine Sicherheiten gibt in Josefinas Welt. Sogar der Sand ist dunkel, wie Schmutz, den man sofort wieder abstreifen muss. So lässt der Film auch für den Zuseher am Ende einen offenen Raum und man verlässt den Saal mit einem Stirnrunzeln.
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    27.10.2019
    10:59 Uhr