Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Der Neuseeländer Taika Waititi hat binnen kürzester Zeit einen Karriereaufschwung als Schauspieler und Filmemacher hingelegt, von dem andere nur träumen können. Einst fand dessen Karriere noch in der Indie-Szene seiner Heimat ihren Ursprung. Mit der Veröffentlichung der 2014 erschienenen Vampir-Mockumentary „5 Zimmer, Küche, Sarg“ (OT: „What We Do in the Shadows“) änderte sich aber so einiges im Leben des gebürtigen Kiwis. Die Horror-Komödie, die Waititi zusammen mit dem Comedian Jermaine Clement schrieb und inszenierte (beide übernahmen auch die Hauptrollen), entpuppte sich trotz limitierter finanzieller Mittel zum Überraschungserfolg und ließ dem Multitalent internationale Bekanntheit erlangen. Durch die Popularität des Films wurde dann Marvel auf den Neuseeländer und dessen eigene Marke Humor aufmerksam. Marvel heuerten Waititi als Regisseur für „Thor: Ragnarok“, den dritten Teil von Marvels Reihe rundum den nordischen Gott des Donners, an. Und siehe da: der Ausflug in die Welt der Superhelden-Blockbuster-Welt hat sich rentiert, denn „Ragnarok“ gilt als einer der verspieltesten Einträge ins Marvel Cinematic Universe und katapultierte Waititi von einem auf den anderen Tag in die obere Liga Hollywoods. Bevor der Regisseur, der in der Regel auch kleinere bis größere Rollen in seinen eigenen Filmen übernimmt, auch beim kommenden vierten Teil der „Thor“-Reihe mit dem schicken Beititel „Love and Thunder“ im Regiesessel Platz nehmen darf, widmet er sich einem deutlich geerdeteren Passionsprojekt namens „Jojo Rabbit“. Hierbei handelt es sich aufgrund des Versuchs, eine Mischung aus schrulliger Satire und emotional wuchtigem Drama im Nazi-Deutschland des Zweiten Weltkriegs stattfinden zu lassen, definitiv um Waititis bis Dato waghalsigstes Projekt. Dies zeichnet sich auch an den sehr geteilten Meinungen ab, die seit der Weltpremiere beim diesjährigen Toronto Film Festival – wo der Film aber dennoch den Publikumspreis mit nach Hause nehmen konnte – im Internet kursieren.
Worum geht es hier denn überhaupt genau?
Basierend auf Christine Leunens Roman „Caging Skies“ steht im Mittelpunkt dieser satirischen Tragikomödie der 10-jährige Junge Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), der von seiner Umwelt jedoch nur „Jojo“ genannt wird und gemeinsam mit seiner sorgsamen Mutter Rosie (Scarlett Johansson) während des Zweiten Weltkriegs aufwächst. Im Gegensatz zu seiner Mutter ist Jojo jedoch ein absolut überzeugter Nationalsozialist und hofft sogar, eines Tages Teil der Partei sein zu dürfen. Bevor dieser „Traum“ in Erfüllung gehen kann, bekommt der Junge vorerst in seiner Fantasie von seinem imaginären besten Freund Adolf Hitler (verkörpert von Taika Waititi höchstpersönlich) stets den nötigen Rat erteilt. Die fragwürdige Weltanschauung des Kindes wird jedoch auf die Probe gestellt, als Jojo eines Tages entdeckt, dass seine Mutter die jüdische Teenagerin Elsa Korr (Thomasin McKenzie) im eigenen Hause untergebracht hat, um ihr Schutz vor den Gräueltaten des Nazi-Regimes zu gewähren. Jojo, der auch selbst der Hitlerjugend angehört und sich nach Zugehörigkeit und Akzeptanz innerhalb einer Gruppe sehnt, ist davon zuerst natürlich alles andere als begeistert, muss aber bald schon realisieren, dass seine Sicht der Dinge nichts als Hass und Horror in sich birgt.
Auf Papier klingt das natürlich schon mal wie ein gewagtes Konzept, das in den falschen Händen leicht nach hinten hätte losgehen können – man erinnere sich beispielsweise an die bis heute aus Scham unveröffentlichte KZ-Tragikomödie „The Day the Clown Cried“ von Jerry Lewis.
Nun gibt es auch bei „Jojo Rabbit“ – wie die bisherige Diskussionen rundum den Film schon bestens zeigen – durchaus Aspekte, denen man sich kritisch annähern könnte. Nach meiner Meinung stellt Waititi hier aber – trotz aller inkludierten Blödeleien – überraschendes Fingerspitzengefühl unter Beweis und legt den komplizierten Drahtseilakt zwischen überdrehter Satire und ernstzunehmendem Antikriegsdrama bravourös hin.
Zu Beginn gibt sich Waititis Werk noch als reine Komödie mit einem fast schon Wes-Anderson-esquen Hang zur Schrulligkeit. Eingeleitet wird der Film von einer Schwarz-Weiß-Montage, in der fanatische Nazis die Hände zum Hitlergruß erheben, während im Hintergrund die deutsche Fassung vom Beatles-Hit „I Wanna Hold Your Hand“ erklingt (passenderweise „Komm gib mir deine Hand“ betitelt). Diese Sequenz umschreibt bereits ohne große Worte die verblendete Weltansicht unseres jungen Protagonisten. Was folgt sind überzogen schrille aber herrlich unterhaltsame Szenen im Hitlerjugend-Camp, das vom dämlichen Captain Klenzendorf (Sam Rockwell) geleitet wird. Allgemein stellt der Film all seine erwachsenen Nazi-Figuren als Schwachköpfe, die nur so vor Erbärmlichkeit triefen, dar – angefangen bei Rockwells Klenzendorf über dessen Stellvertreter Finkel („Games of Thrones“-Star Alfie Allen) hin zur Camp-Instrukteurin Fräulein Rahm (Rebel Wilson). Nun ließe sich natürlich darüber diskutieren, ob es nicht die Schreckenstaten des Regimes verharmlosen würde, Nazis simpel als Schwachköpfe abzutun. Da Waititi aber zunächst dem direkten Grauen fernbleibt und dabei seinen eigenen wunderlichen Mikrokosmos kreiert, reiht sich der Humor darin wunderbar ein und sorgt sogar für herrliche Situationskomik, die sich gerade noch innerhalb der Grenzen des guten Geschmacks fortbewegt.
Trotz der anfänglichen Leichtfüßigkeit und eher beschwingten Atmosphäre gelingt Waititi ab der zweiten Hälfte tadellos der Umschwung zum Drama, ohne dabei radikale tonale Verwirrungen zu stiften. Zwar lassen sich die dramatischeren Aspekte nicht unbedingt als komplex bezeichnen, Waititi findet aber meistens den passend ernsten Ton, um das harte Thema und die Botschaft, die er vermitteln möchte, nicht zu stark zu simplifizieren. Dies lässt sich vor allem auch auf ausgeklügelte inszenatorische Einfälle zurückführen, mit denen der Regisseur dem Zuschauer gewisse Plot-Points ohne Worte und rein durch Bildsprache näherbringt. Besonders eindrucksvoll bleibt eine Sequenz, in der der junge Protagonist mitten in das Schlachtfeld gerät, und realisiert wie viel Leid und Schrecken das Regime, dem er lange Zeit blind folgte, und Krieg im Allgemeinen anrichten.
Neben den Schreibsensibilitäten des Regisseurs dürfte wohl auch die durchwegs exzellente Besetzung beim reibungslosen Tonwechsel des Films weiterhelfen. Allen voran seien hier der junge Hauptdarsteller Roman Davis Griffis, der es schafft alle Facetten seiner Figur glaubhaft wiederzugeben und merkt, wann Sympathie für seine Figur angebracht ist (und wann nicht), sowie dessen Gegenpart Thomas McKenzie als selbstbewusstes Teenager-Mädchen jüdischer Abstammung hervorzuheben. Die überzeugende Chemie zwischen McKenzie und Griffis sorgt streckenweise für ein Gefühl von Warmherzigkeit, das durch den eigensinnigen Stil des Films gekonnt kitschigen Pathos vermeidet. Auch Scarlett Johansson kann in ihrer Rolle der fürsorglichen Mutterfigur Rosie absolut aufgehen und schafft es trotz eines äußerst überzeichneten deutschen Akzents ihren Charakter in einem nötigen Maß an Ernsthaftigkeit zu grundieren.
Die wichtigste Frage aber nun: Wie funktioniert Waititis Hitler-Karikatur?
Was leicht schiefgehen hätte können, erfüllt hier zum Glück seinen Zweck, ohne dass der hier gezeigte Hitler zu sehr vermenschlicht oder gar sympathisiert wird. Der imaginäre Hitler taucht sporadisch genug auf, um das Gimmick, das durchaus für einige Lacher sorgen kann, nicht überzustrapazieren.
Taika Waititis „Jojo Rabbit“ wird allein schon wegen der schweren Grundthematik polarisieren. Wer jedoch in die überdrehte Welt, die hier aus realen Geschehnissen heraus kreiert wird, eintauchen kann, darf sich auf eine wundervoll schrullige Kriegssatire freuen, die später ebenso effektiv ins Drama kippt, das seine Thematik trotz der Mainstream-Tauglichkeit völlig ernst nimmt.
Ein Werk, das in seiner Darstellung von Personen, die blind einer fragwürdigen Ideologie folgen, immer noch am Zahn der Zeit nagt.
Ein Plädoyer für die Menschlichkeit.
Ein Tänzchen für die Freiheit.
Go, Taika, go!