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    Der Krieg ist erst dann vorbei, wenn der letzte Soldat begraben ist

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Valentyn Vasyanovychs Film, der in Venedig gezeigt wurde, beginnt sehr stark. Mit Infrarotkamera (beim Militär heißt das übrigens FLIR – Forward Looking Infrared) in dunkler Nacht wird von oben gefilmt, wie jemand mit einer Schaufel Erde verschiebt. Drei weitere Wärmepunkte in der Form von Menschen kommen ins Bild. Einer wird geschlagen und ins Dunkle hineingelegt, dann wird wieder Erde verschoben. Nach einer Weile sind da insgesamt nur mehr drei Wärmepunkte. Der vierte Körper ist verschwunden. In der nächsten Einstellung bauen zwei Männer im Dunklen Schießfiguren aus Eisen auf. Um dann eine Übung abzuhalten. Man erfährt, dass sie Ex-Soldaten sind.

    Der Regisseur, der auch Kamera, Drehbuch und Schnitt gemacht hat, zeigt uns in seinem Film die Ukraine in der Zukunft. Der Krieg mit Russland ist vorbei. Die Leute leben in einem Land, das die Narben des Konfliktes überall sichtbar auf sich trägt, so wie sie sie in sich tragen. Da sind die beiden Ex-Soldaten Ivan (Vasyl Antoniak) und Sergiy (Andriy Rymaruk), die befreundet sind, und jeder auf seine Art mit diesen Narben umgehen beziehungsweise nicht umgehen können. Da ist Katya (Liudmyla Bileka), die im Krieg Sanitäterin war und deshalb auch jetzt noch für die Organisation „Black Tulip“ arbeitet, die die Körper der verschollenen Soldaten sucht und dafür sorgt, dass sie ein Begräbnis bekommen. Die, die Katya vorher liegenlassen musste, denen sie nicht helfen konnte. Die Leben der Protagonisten kreuzen sich.

    Bis hierher war der Film für mich eine Offenbarung. Fast durchgehend Totalen, in denen der Mensch ein kleines Pünktchen im Vergleich zur Fabrikslandschaft, zur Militärlandschaft, zum Drumherum, in dem er eingeschlossen ist, darstellt. Sehr stark die Einstellungen, als Sergiy und Ivan die Eisenfiguren aus dem Auto tragen, sie aufstellen. Dann die beiden Männer, die aus dem Bild gehen, die harte Symmetrie der Eisenfiguren in der Landschaft. Wie die Kamera dortbleibt und man die Geräusche der beiden Männer hört, die sich aufs Schießen vorbereiten und wie sie plötzlich ins Bild kommen und drauflosballern. Stark die Einstellung von Ivan in der Schmelzerei, mit seiner Verzweiflung, wie er über dem Abgrund schweißt. Dann Sergiys karge Wohnung, wo es an allem fehlt, so dass er sogar den Tisch zu einem Bügelbrett umfunktionieren muss. Auch hier wieder ein Wechsel von ganz langsam auf ganz schnell, ein hilfloses Umsichschlagen und die Kraft, mit der Sergiy zerstören gelernt hat.
    Auch großartig die Ansprache des Schmelzerei-Inhabers, dass die Fabrik zumachen wird. Wir folgen ihr auf einer Riesenvideoleinwand zusammen mit den Arbeitern, die als dunkle Schatten vor uns stehen. Ganz im Vordergrund ein langgedeckter Tisch mit einer Reihe von Flaschen. Nach der Ansprache darf getrunken werden, während auf der Leinwand Bilder von Dziga Vertovs Enthusiasmus flimmern, dem ersten sowjetischen Tondokumentarfilm über die Region überhaupt. Dann kommt noch die erste Autopsie eines Soldatenleichnams. Die handelnden Personen gehen hinten nur vorbei, bleiben klein und unscheinbar im Hintergrund, während man den Arzt monoton die Verletzungen des ausgegrabenen Soldatenleichnams beschreiben hört und man als Zuseher nicht weiß, wo man jetzt zuerst hin- oder von wo man wegsehen soll.

    Aber dann hat der Film leider an Plastizität und Stringenz verloren. Sergiy macht sich in einer Art Vergangenheitsbewältigung in ein Haus auf, das teilweise zerstört ist, wo aber in einer Wohnung noch Möbel und allerlei Gegenstände übriggeblieben sind, darunter ein Paar Kinderschuhe, die er nachdenklich aufhebt. Die Kamera folgt ihm hier, wie er sehr langsam durch diese Wohnung geht und es entsteht das erste Mal eine gewisse Ungeduld im Zuschauer. So geht es dann weiter. Lange Einstellungen, die wohl die Ausweglosigkeit aus dem Trauma darstellen wollen, folgen. Aber der Regisseur reizt diesen Zustand zu sehr aus, er wird dadurch eindimensional.

    Die Laiendarsteller, die der Regisseur ausgesucht hat, weil sie wirklich den Krieg miterlebt haben, bringen allesamt eine großartige Leistung, machen das Trauma und die Erstarrung in jeder Bewegung und Handlung sichtbar. Aber das, was der Film an Schockgeschehen im ersten Teil auslöst, verschwimmt dann im zweiten Teil zu einer Geschichte, die vielleicht zu einfach wird. Auch wenn die Bildsprache so beeindruckend bleibt wie von Beginn an, zerfleddert die Gestalt des wortkargen Hauptdarstellers Sergiy, wenn er ein Bad in einer Baggerschaufel nimmt, wenn er eine Frau rettet, die ihn ins Ausland mitnehmen könnte, wenn er später plötzlich zu sprechen anfängt.

    Der Wärmebildkameraeinstellung am Anfang stellt Valentyn Vasyanovych später eine zweite Wärmebildkameraeinstellung gegenüber, dieses Mal ein echtes Wärmebild. Zwei Menschen, die einander umarmen. Ob eine solche Auflösung des Kriegstraumas so einfach möglich ist, bleibt irgendwie fragwürdig. So lässt einen auch der Film mit einer Art Unbehagen zurück. Aber vielleicht will er genau das.
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    05.11.2019
    23:38 Uhr