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    Alles so schön bunt hier

    In Wahrheit ist die Welt unbunt. Das merkt man vor allem nachts, wenn das, was wir gerade noch wahrnehmen können, in diffusem Grau versinkt. Das Licht gibt den Dingen dann ihre farbige Besonderheit, je nachdem, wie dieses von der Materie reflektiert wird. Doch selbst dann ist es längt nicht selbstverständlich, das satte Spektrum von Grün und Rot und Blau auch wahrzunehmen. Schließlich gibt es auch Farben, die wir gar nicht sehen können, andere Lebewesen aber schon. Und dann gibt es Farben, zumindest in der Literatur und in den Köpfen dem Phantastischen zugeneigter Kunstschaffender, die, wie der Tscheche Leo Perutz, im Krimi Der Meister des jüngsten Tages exzentrisches Coleur wie das sogenannte Drometenrot erschaffen, das alle in den Wahnsinn treibt, sobald man es erblickt. Der Schriftsteller H. P. Lovecraft gibt sich in seiner Kurzgeschichte Die Farbe aus dem All ebenfalls einem Farbenrausch hin, der weitaus mehr bewirkt, als nur Menschen um den Verstand zu bringen. Näher benannt wird dieses rosarote Leuchten nicht, dafür fehlt den Betroffenen schier die Zeit und die Lust, angesichts des eskalierenden Dilemmas auch noch das Kind des Grauens beim Namen zu nennen.

    Lovecraft ist längst Kult, und nicht weniger als Edgar Allan Poe. Der gerade mal 47 Jahre alt gewordene Amerikaner – es starb an Krebs – gilt als der Begründer des Kosmischen oder gar Lovecraft’schen Horrors, dessen Bedrohung sich aus höheren, unerklärlichen und unergründbaren Mächten speist. Der Cthulhu-Mythos, einhergehend mit dem fiktiven Buch namens Necronomicon, wird zum Beispiel eines frühen Franchise, zum erschaffenen Themen-Universum, dem sich zahlreiche Werke unterordnen. Und wenn einem der Name des Buches bekannt vorkommt: Jawohl, dee Schmöker aus Tanz der Teufel heisst ganz genauso – und zweckentfremdet wurde dieser ja auch nicht ganz, denn was das Buch entfesselt, wissen wir.

    In Die Farbe aus dem All gibt es kein Buch und kein näher bestimmtes Artefakt. Doch es gibt einen Meteoriten, der mit Karacho in den Garten der fernab urbanen Trubels lebenden Familie Gardner kracht und dabei einen kaum übersehbaren Krater hinterlässt, dem diese eigentümliche, geschmackvolle, rosarote bis lila Farbe entströmt, die alles durchdringt, bedeckt und zu höherem und andersgeartetem Wachstum antreibt. Es mutiert die Botanik, es mutieren die Alpakas in der Scheune. Man darf erwarten, dass das seltsam strahlende Licht so einiges im Bauplan mehrzelligen Lebens durcheinanderbringt. Wie das geht, ist nicht von Belang. Die Frage nach dem Wie und Warum stellt sich nicht. Stattdessen ist Schadenbegrenzung die oberste Agenda von Nicolas Cage, der zusehen muss, wie seine Liebsten bizarren Metamorphosen unterworfen werden – nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Klar ist Papa nicht immun gegen diesen ganzen Zauber. Das Overacting greift um sich, der vielbeschäftigte Neffe Francis Ford Coppolas darf seine Figur endlich einmal ohne Scham überzeichnen, was zwischendurch aber leider ins Lachhafte kippt. Abgesehen davon, dass Cage locker als Schuspielprofi durchgeht, sofern er entsprechend gefordert wird: zu seinen Nieten zählt ein Auftritt wie dieser hier – was der unheilvollen und bizarren Wirkung der wüsten Science-Fiction aber keinen Abbruch tut.

    Die Farbe aus dem All wäre das Ergebnis, wenn man John Carpenters The Thing mit Jeff VanderMeers Annihilation (kongenial verfilmt von Alex Garland) kreuzt. Fans von beidem kämen auf ihre Rechnung, der Bodyhorror trägt dabei pink, der Verstand nichts zur Lösung eines verheerenden Problems bei, welches eine Familie in den Abgrund stürzt und wir dabei zusehen sollen. Lovecraft ist schließlich nie einer, der will, dass das mystische wie mythische Verderben dank der Praktizierung menschlicher Werte gebannt wird. Der Mensch bleibt das Opfer und völlig machtlos. Und reicht nicht die Resignation, regiert der Wahnsinn. Der einzige Zustand, um sich mit dem Unerklärlichen zu arrangieren.

    So gesehen ist Die Farbe aus dem All von Richard Stanley geradezu erquickend, ich will nicht sagen erfrischend, aber in seiner ausufernden psychedelischen und metaphysischen Bildgewalt ein launiger Horror mit staunenswerten Seltsamkeiten, stets immer nahe zur Groteske, die den Schrecken fast schon verballhornt – wäre da nicht der Erzähler aus dem Off, der wiederum an Poe erinnert und wie ein Gruselgeschichtenerzähler am Lagerfeuer dann doch noch die richtige Stimmung macht.



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    26.02.2024
    17:09 Uhr
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    Kosmischer Horror-Trip mit Nicolas Cage

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Der 1937 verstorbene US-Amerikaner H. P. Lovecraft gilt gemeinhin als einer der wichtigsten und einflussreichsten Horror-Autoren der Literaturgeschichte. Als dieser im Jahre 1929 die Kurgeschichte „Color Out of Space“ (hierzulande: „Die Farbe aus dem All“) veröffentlichte, hätte sich wohl niemand ausgemalt, dass dieses abstrakte Werk überhaupt je als Film adaptiert werden könnte. 90 Jahre später bringt der südafrikanische Filmemacher Richard Stanley, der hiermit übrigens seinen ersten Spielfilm seit über 20 Jahren gedreht hat, nun aber die bereits vierte Verfilmung des abstrusen Stoffes auf den Markt.

    Die neue Leinwand-Adaption, die erst vor wenigen Wochen am Toronto International Film Festival ihre Weltpremiere feierte, erzählt von der Familie Gardner, die vor nicht allzu langer Zeit auf einen Bauernhof inmitten einer ländlichen Region in New England gezogen ist. Zur Familie gehören der Vater Nathan (Nicolas Cage), der seiner Farm erst kürzlich Alpakas beschaffen hat, seine sorgsame Ehefrau Theresa (Joely Richardson) sowie ihre drei Kinder Lavinia (Madeleine Arthur), Benny (Brendan Meyer) und Jack (Jack Gardner). Die ländliche Idylle wird jedoch durchbrochen, als eines Tages ein Meteorit auf ihrem Anwesen einschlägt und eine Kette obskurer Vorfälle loslöst. Schon bald infiziert der scheinbare Meteorit das Wohngebiet der Familie mit einer außerirdischen glühenden Farbe, die all das, was mit ihr in Berührung kommt, mutieren lässt.

    Der Plot des Ganzen lässt sich nur schwer in Worte fassen - so abgespaced und schlichtweg absurd kommt die Geschichte nämlich daher. Regisseur Stanley zelebriert den Wahnsinn und die Exzentrik der Prämisse jedoch aufs Vollste und bietet dem Publikum ein immersives Kinoerlebnis, das in seiner über-stilisierten Inszenierung vielmehr einem Trip gleicht, als einem Film im klassischen Sinne.

    Dabei lässt Stanley seinen Film noch so bodenständig anfangen und etabliert zunächst einmal mit aller Ruhe die Familienmitglieder und restlichen Figuren des Films. Je mehr seltsame Dinge jedoch in Folge des Meteoriten-Einschlags vorfallen, desto mehr gibt sich die Lovecraft-Verfilmung ihres Wahnsinns hin, der sowohl in herrliche Unterhaltung als auch effektive Schockmomente resultiert.

    Einen großen Beitrag leistet dafür mit Sicherheit Nicolas Cage, der nur ein Jahr nach dem fantastischen LSD-Blutrausch „Mandy“ mal wieder seinem exquisiten Exzentrikergemüt freien Lauf lassen darf. Selbst während sich sein Charakter zu Beginn noch relativ geerdet verhält, macht es da bereits großen Spaß, Cage unter anderem dabei zuzuschauen, wie dieser ein Alpaka melkt. Als sein Charakter dann langsam aber sicher (gemeinsam mit dem Publikum) die Wahnsinns-Spirale des Films hinabfällt, läuft der König des Overactings zur absoluten Höchstform auf. Es sei jedoch anzumerken, dass Cage insgesamt etwas kürzer zu sehen ist, als sich vermutlich der ein oder andere erwarten wird. Hervorzuheben wären ansonsten noch Madeleine Arthur als die von Hexenkraft faszinierte Teenager-Tochter Lavinia sowie Stoner-Legende Tommy Chong, der in einer kleinen Nebenrolle als im Wald beheimateter Hippie, der einer karikierten Version seines wahren Ichs gleicht, für Lacher sorgen darf.

    Der eigentliche Horror von Stanleys Buch-Verfilmung lässt sich schwer kategorisieren. Mal wird dieser durch zwischenmenschliche Spannungen erzeugt, gegen Ende aber dann durch nahezu Cronenberg-esquen und durchaus ekelerregenden Body-Horror der feinsten Sorte. Dabei nimmt sich der Film an vielen Stellen gar nicht ernst und ist sich seines Over-the-Top-Gemüts, das oft zu Komik führt, vollkommen bewusst.

    Was die Neuverfilmung der Horror-Novelle aber schlussendlich zum unvergesslichen Erlebnis macht, ist die außergewöhnliche visuelle Aufmachung. Insbesondere die psychedelischen Momente im glorreichen (wenn auch etwas unübersichtlichen) Finale saugen einen in ihrer ästhetischen Farbpracht, die von betörenden Synthie-Klängen begleitet wird, regelrecht auf. Da kann auch mal gerne über den ein oder anderen misslungenen Digitaleffekt hinweggesehen werden.

    Alles in allem muss man wohl sagen, dass Richard Stanleys „The Color out of Space“ mit Sicherheit die Gemüter spalten wird. Wer sich jedoch auf knapp zweistündigen kosmischen Horror, der immer mehr in überstilisierten Wahnsinn kippt, einlassen kann, wird mit einem sensorischen Erlebnis der Sonderklasse belohnt.

    Lovecraft wäre wohl stolz!
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    27.09.2019
    08:09 Uhr