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    Mit dem Tod einen trinken

    Normalerweise, wenn der Tod an die Tür klopft, wird, wenn es nach der mittlerweile leider in Rente gegangenen Austro-Band EAV geht, etwas zu trinken geben. Zum Beispiel Jagatee. Am besten etwas, wonach man nach dem vierten oder fünften Nachschlag nicht mehr so ganz den Überblick hat. Wie passend für eine Wesenheit, die arme Seelen abholen will ins Jenseits, und dann nicht mehr weiß, wer nun als nächstes ins Gras beißen soll. Den Tod kann man auch ganz leicht überlisten, wie jenes alte Mütterchen, das den Gevatter innigst darum bittet, morgen wiederzukommen, und dieser sein Ehrenwort noch dazu an die Tür des Hauses kritzelt. So lebt die Alte ewig, und der Sensenmann muss klein beigeben.

    Im Falle dieser nachtaktiven Tragikomödie mit Mystery-Touch kommt der Tod für einen Angsthasen wie Juri (Noah Saavedra, u. a. Egon Schiele: Tod und Mädchen) gerade recht, ist dieser doch fest davon überzeugt, dass seine Albträume, die einen unmittelbar bevorstehenden Herzinfarkt ankündigen, sehr bald wahr werden. Die Furcht vor dem Leben lähmt ihn – doch der Tod, das Objekt der Furcht schlechthin, weicht in O Beautiful Night von seiner eigentlichen Aufgabe ab. Eines Nachts erscheint er dem schlotternden Hypochonder wie aus dem Nichts, um ihn mitzunehmen. Zuvor aber soll der, der eigentlich nie wirklich erfahren hat, was es heißt, zu leben, das Dasein nochmal genießen. Vom Tod würde man sowas nicht erwarten. Man würde aber auch nicht erwarten, dass dieser in Gestalt eines mit slawischem Akzent sprechenden Vagabunden hier aufschlägt. Statt bleichgesichtig und schwarz ummantelt wie bei Ingmar Bergman ist dieser in Feierlaune und holt den verängstigten Juri aus seinem Schneckenhaus, um ihn durch die Nacht zu geleiten. Dabei ist ein Besuch bei Stripperin Nina, jener Frau, der Juri sein Herz geschenkt hat, mit inbegriffen.

    O Beautiful Night hätte so werden können wie Jan-Ole Gersters Berlin-Ballade Oh Boy mit Tom Schilling als orientierungsloser Tagedieb, der durch die Facetten einer Großstadt mäandert. Doch Xaver Böhm, der auch am Drehbuch mitschrieb, verfängt sich in einer Episodenhaftigkeit, die zum Stückwerk wird. Vielleicht liegt es dabei auch an der Darstellung der Figur eines angreifbaren Todes, welcher der Slowene Marco Mandić ein allzu weltliches Gesicht gibt. Dafür frönt dieser viel zu sehr den irdischen Gelüsten, und jede Szene, in der Mandić performt, schreit danach, niemals anzunehmen, dass es sich dabei um eine Entität wie den Tod handeln könnte. Als Teufel wäre die Figur, die wie Lucifer aus gleichnamiger Serie den Lastern des Lebens nicht abgeneigt ist, nachvollziehbar genug. Der Tod aber ist etwas anderes. Zwar auch nicht unbedingt so, wie Neil Gaiman sich diesen in der Serie Sandman vorstellt, aber weiser, ruhiger und doch irgendwie anders als wir Menschen, die nur so umherirren in ihrem beschränkten Radius der eigenen Wahrnehmung. Mandić verleiht der Figur bis auf kleine Ausnahmen keinen größeren Radius, vielleicht weiß er manchmal mehr als andere und taucht ganz plötzlich dort auf, wo er vorher noch nicht gestanden hat. Sonst aber fällt es mir schwer, dieser Figur ein gewisses Maß an Respekt entgegenzubringen.

    Wenn schon dieser Tod die recht sperrigen Episoden nicht auf einen Nenner bringen kann – wer tut es dann? Eigentlich niemand. Weder Noah Saavedra, der als Anti-Jedermann in Sachen Hedonismus ziemlich verloren wirkt und sich vom Tod herumschubsen lässt, noch die unnahbare Vanessa Loibl, die völlig unmotiviert zu den beiden schrägen Vögeln ins Auto steigt. Was bei O Beautiful Night nicht funktioniert, sind die nur in Ansätzen vorhandenen Charakterbilder der Figuren, die nicht zu dem werden, was sie eigentlich sein sollten. Die nicht den Film tragen wollen, der aber genau darauf setzt. Saavedra und Loibl lassen sich treiben, währen Mandić als Tod seinen Job scheinbar satthat. Die feine Klinge blitzt manchmal auf, wenn der Bote des Jenseits mit ein paar Russen ebensolches Roulette spielt. Doch auch in diesen Szenen ist die Motivation für das große Ganze zu selbstgefälliges Kunstkino, das seine einzelnen Szenen liebt, seine Figuren aber halbfertig auf eine existenzialistische Tour schickt, die sich niemals so anfühlt, als ginge es um Leben und Tod.


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    17.02.2023
    07:55 Uhr
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    Nächtlicher Trip mit dem Tod

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2019
    Modernes deutsches Kino zeigt sich – immerhin im Mainstream-Bereich – oft ein wenig steif und unoriginell. Das auch das absolute Gegenteil der Fall sein kann beweist der freischaffende Zeichner Xaver Böhm (auch bekannt unter seinem Künstlernamen „Xaver Xylophon“) in seinem Spielfilm-Regiedebüt „O Beautiful Night“. Der Anfang 20-jährige Juri ist erfolgloser Musiker und krankhafter Hypochonder. Als er eines Nachts Zeit in einem Casino verbringt, begegnet ihm plötzlich der personifizierte Tod (Marko Mandic). Somit verbringt Juri eine Nacht mit dem lebendigen Tod, der ihn quer durch abstruse Lokalitäten treibt und den jungen Mann mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert.

    Xaver Böhm ist ein surreal schöner wie auch irrwitzig schwarz-humoriger Filmtrip gelungen, der mit einer berauschenden Farbästhetik besticht.

    Böhm kreiert einen im wahrsten Sinne des Wortes traumhaften Look getränkt in Neonfarben und -lichter, dessen hochgestochene Kolorierung schon fast an die Farbkompositionen eines Nicolas Winding Refns oder eines „Suspiria“ von Dario Argento erinnern lässt. Die Visualisierung ist stets dem Geschehen angepasst und wird zumal surrealer je exzentrischer die Story des Films wird.

    Zudem wird Böhms Werk von einem wundervoll absurden Humor durchzogen, die jedoch nicht zu bemüht oder gezwungen verrückt wirkt, sondern sich mühelos in die originelle Handlung einreiht. Für die schwarz-humorige Komik ist in erster Linie die Figur des Tods verantwortlich, dessen ungewöhnlicher osteuropäischer Akzent bereits eine gute Basis dafür bietet. Eines der Highlights ist zweifelsohne eine Sequenz, in der Protagonist Juri vom Tod zu einer Runde russisches Roulette mit zwei aussergewöhnlich Gestalten eingeladen wird, die morbide aber zugleich unfassbar unterhaltsame Wege einschlägt.

    Im Laufe des Films wird dem abstrusen Buddy-Gespann noch eine dritte Person hinzugefügt: die Stripperin Nina (Vanessa Loibl). Juri lernt diese in einer Peepshow kennen und verliebt sich in sie. Juris Beziehung zu ihr verleiht den Film einen zusätzlichen Diskurs zum Thema Sterblichkeit, der durch eine kürzlich verstorbene Freundin Ninas entfacht wird. Der Film erhält so noch eine zusätzliche Portion Melancholie, die sich in die sonst so kontrastreichen Absurditäten im Plot mühelos einreiht und die Zuschauer an der Abwärtsspirale der Protagonisten aktiv teilnehmen lässt.

    Allgemein verstreut der Film zahlreiche Anleihen an das Genre des Film noir, weswegen die Figur der Nina auch zunächst als geheimnisvolle Femme Fatale etabliert wird und stets auf amüsante Art und Weise mit den vermeintlichen Konventionen des Genres herumgespielt wird.


    Am Ende des Tages lässt sich sagen, dass „O Beautiful Night“ definitiv nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Einige Zuschauer werden den Film zu bemüht anders finden, andere von Anfang an schon Schwierigkeiten damit haben, in das abstruse Konzept hineinzufinden. Wer sich aber auf diesen nächtlichen Trip voller kreativ absurder Einfälle, bitterböser Komik, surreal schöner Bildwelten und einer feinen Prise Melancholie einlassen kann, wird am Ende reichlich belohnt werden.

    Junges wildes Kino made in Germany – bitte mehr davon!
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    16.02.2019
    20:43 Uhr