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    Die ewige Suche nach dem Glück

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2019
    Regisseur Edward Berger durfte bereits seinen letzten Kinofilm „Jack“ im Rahmen des Wettbewerbs der Berlinale 2014 erfolgreich uraufführen lassen und konnte im Anschluss für sein Werk auch zahlreiche Preise einheimsen. Während Berger in den letzten Jahren primär im Serienbereich unterwegs war und Episoden für „The Terror“ oder „Patrick Melrose“ drehte, zieht es den Filmemacher mit seinem neuen Werk „All My Loving“ wieder zum Kino zurück. Der Film durfte im Rahmen der Panorama-Sektion auf der diesjährigen Berlinale seine Weltpremiere feiern.

    In der Tragikomödie erzählt Berger episodenhaft von drei Geschwistern, die allesamt von großen Problemen geplagt werden. Der Anfang 40-jährige Stefan (Lars Eidinger) ist nach außen hin ein erfolgreicher Pilot mit aufregendem Sexualleben. Jedoch der Schein trügt: Im Wahrheit wird er zurzeit von Selbstzweifeln gequält: einerseits wird bei ihm eine Krankheit diagnostiziert, die ihm den Job kosten könnte – andererseits hegt er ein komplexes Verhältnis zu seiner Tochter, die bei seiner Ex-Frau lebt. Auch seine Geschwistern liegen große Lasten auf den Schultern. Während Schwester Julia (Nele Mueller-Stöfen) immer noch mit dem drei Jahre zurückliegenden Tod ihres jungen Sohns zu kämpfen hat, wird der jüngere Bruder Tobias, der zusätzlich drei Kinder zu versorgen hat, die Aufgabe zu Teil, den schwerkranken Vater der Familie zu pflegen. Alle drei sind stets daran versucht ihre privaten Probleme und Unsicherheiten in der Öffentlichkeit zu kaschieren, was sich jedoch weit schwieriger gestaltet als erhofft.

    Berger eröffnet seinen neuen Film mit einer kurzen Sequenz, in der wir die drei Geschwister und deren Eigenheiten binnen weniger Minuten vorgestellt bekommen. Anschließend wird der essentielle Teil des Films in drei Episoden erzählt, in denen stets der schwierige Alltag einer der drei Geschwister-Charaktere beleuchtet wird. Abgesehen vom Verwandtschaftsgrad der Figuren gehen die Episoden narrativ nicht ineinander über und können daher auch als drei separate Charakterstudien der Geschwister betrachtet werden.

    Dem Regisseur ist ein tragikomisches Porträt dreier Individuen voller Furcht und Selbstzweifel gelungen, das mit pointiertem Witz, glaubwürdigen Figuren und einer großen Portion Menschlichkeit punktet.

    In jeder der drei Episoden schafft es Berger, trotz einer gewissen Distanz zu den Charakteren, deren innere Gefühlswelt dem Zuschauer unbeschönigt und realitätsnah zum Verstehen zu geben. Es werden hier menschliche Schicksale entworfen, die eine glaubwürdige Tiefe mit sich bringen und weit entfernt von den klischeebeladenen Reißbrettcharakteren sind, die man sonst oft im deutschen Mainstream-Kino á la Til Schweiger zu sehen bekommt. In allen drei Episoden sieht sich jeweils ein Geschwisterteil mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert, die zwar mit Abwehrmechanismen verdrängt werden wollen, schlussendlich aber einander eingestanden werden müssen, um sich überhaupt dem Pfad der Zufriedenheit hingeben zu können. Auch wenn gewisse Taten unserer Protagonisten durchaus fragwürdig sind und für manch Zuschauer bestimmte Charaktere automatisch unsympathisch machen werden, versucht der Film unsere drei Hauptfiguren so ambivalent wie nur möglich zu gestalten, um dabei ein empathisches Gesamtbild zu vermitteln. Es ist ein Film, der von menschlichen Sorgen und Ängsten durchzogen wird, die bestimmt viele von uns teilen, aber Schwierigkeiten damit haben, diese in die Welt hinauszutragen.

    Die verschiedenen Nuancen der Charaktere werden von der beeindruckenden Darstellerriege auf den Punkt gebracht, wobei besonders Lars Eidingers ausdrucksstarkes Spiel in der ersten Episode hervorzuheben wäre.

    Zugegebenermaßen weiß der Humor des Films nicht an jeder Stelle zu punkten. Die Grenze zwischen Komik und Fremdscham wird etwas zu oft durchbrochen und macht den Realismus des Films szenenweise zu Nichte. Auch eine Epilogszene, die das Geschehen des Films nach den drei Episoden abrunden soll, wirkt etwas zu dick aufgetragen und hätte man nicht unbedingt benötigt.

    Nichtsdestotrotz ist Edward Bergers „All My Loving“ ein ehrliches und unbeschönigtes Porträt einer Generation voller versteckter Selbstzweifel geworden, das eine feine Grenze zwischen Tragik und Komik zieht und dazu aufruft, seine eigenen Unzulänglichkeiten zu reflektieren und stets nach vorwärts zu blicken, um mehr Zufriedenheit im Leben zu erlangen.
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    10.02.2019
    15:07 Uhr