1 Eintrag
1 Bewertung
85% Bewertung
  • Bewertung

    Ein Gottesdienst mit der Queen of Soul

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2019
    Im vergangenen Jahr verstarb Sängerin Aretha Franklin, allerorts bekannt als sagenumwobene „Queen of Soul“, im Alter von 76 Jahren an den Folgen von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Neben ihrem beachtlichen Oeuvre als Musikerin, dem unter anderem weltweite Hits wie „A Natural Woman“ oder „Respect“ angehören, galt Franklin als Tochter eines Pastors auch als strenggläubige Frau. Das vierte Live-Album der Soullegende mit dem Titel „Amazing Grace“ ist bis heute die bestverkaufte Platte innerhalb des Schaffens Franklins und besteht nahezu ausschließlich aus Stücken mit religiösen Bezug, die bereits im Vorhinein existierten. Die Aufnahme des Albums fand Anfang 1972 vor versammeltem Publikum und mithilfe eines Chors in der New Bethel Baptist Church in Los Angeles statt. Der Auftritt wurde von der 2006 verstorbenen Hollywood-Ikone Sydney Pollack live mitgefilmt und das dabei entstandene Filmmaterial hätte bereits wenige Monate nach der Aufzeichnung veröffentlicht werden sollen. Jahrelang wurde der Film aufgrund von Rechtstreits und anderer Fauxpas hinter den Kulissen einem Publikum vorenthalten. 47 Jahre nach der eigentlichen Aufnahme und beinahe einem Jahr nach dem Tod Franklins findet das Material nun endlich unter dem Titel „Amazing Grace“ seinen Weg in die weltweiten Kinos. Obwohl Pollocks Film strenggenommen als eine solche klassifiziert wird, handelt es sich bei „Amazing Grace“ um keine Dokumentation im klassischen Sinne. Es werden keine Interviews mit Beteiligten gezeigt, keine Aussagen oder Informationen, die sich erst später abspielten, mitgeteilt – nein: Pollack zeigt hier schlicht und einfach die gesamte Kirchenaufnahme von Franklins legendärem Album, die in zwei unterschiedlichen Intervallen erfolgte, und hat hiermit ein Zeitdokument geschaffen, dessen andauernde Intimität zum Geschehen wohl mehr Aussagekraft zum Schaffen der Künstlerin in sich trägt, als jede Dokumentation im klassischen Sinne.

    Die Kamera ist in den kraftvollsten Momenten immer ganz nah an Franklin dran. Zu Beginn des Films wird angemerkt, dass Franklin die christlichen Songs, die man im folgenden Film von ihr interpretiert hört, seit Kindheitstagen sehr viel bedeuten. Wenn denn nun Franklin zum Beispiel bei der Performance eines Songs in Tränen ausbricht und währenddessen von ihrem anwesenden Pastor-Vater die Tränen mit einem Handtuch weggewischt bekommt, dann trägt dieser Moment eine Zärtlichkeit in sich, die vermutlich mehr über Franklins Verhältnis zu ihrem Vater preisgibt, als es jeder stinknormale Dokumentarfilm geschafft hätte. Gleichzeitig schafft es der Film mit einem immersiven Mittendrin-Gefühl und den gezeigten Reaktionen der deutlich mitgenommenen Pfarrgemeinschaft Zuschauern die emotionale Wucht und Hingabe zur Gesangskunst vermitteln, die Franklins musikalisches Schaffen stets auszeichnete und vielerlei Leute vor Ehrfurcht erstarren ließ.

    Von „Mary Don’t You Weep“ über eine Version von „You’ve Got A Friend“ bis hin zum titelgebenden „Amazing Grace“ – in jedem der hier gezeigten Song-Performances gibt Franklin alles und erzeugt dadurch einen emotionalen Sog, der einen –egal ob gläubig oder nicht – gefühlt am Konzert teilhaben lässt und bei der Berlinale-Vorführung im Friedrichstadtpalast am Ende gar für tosenden Applaus der Zuschauer sorgen konnte.

    Mit „Amazing Grace“ wird das Publikum für 85 Minuten in eine längst vergangene Zeit zurück transportiert und darf dabei ein beachtlich mitgefilmtes Gospelkonzert erleben, das in seiner rauen Intimität und emotionalen Immersionskraft seinesgleichen sucht.

    Ein großes Hallelujah auf die Queen of Soul!
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    20.02.2019
    10:46 Uhr