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16 Bewertungen
80% Bewertung
  • Bewertung

    Beeindruckendes Mafia-Epos im alten Stil mit neuer Technik

    Für mich wirkt "The Irishman" ein wenig, wie ich mir vorstelle, dass "Der Pate" heute aussehen würde, wenn er erst jetzt gedreht würde. Gerade weil sich Scorsese für diesen Film ganz dem alten Erzählstil früherer Genrefilme verschrieben hat wirkt das Endprodukt so klassisch und modern zugleich. Maske und diverse Spezialeffekte lassen DeNiro, Pesci, Pacino und Keitel immer wieder jünger und älter werden - unter der alten Haut steckt aber vom Anfang bis zum Schluß eine bravouröse Schauspielerleistung, Thelma Schoonmaker weiß es auch diesmal, die einzelnen Erzählstränge und Episoden gekonnt zu montieren und Regisseur Scorsese liefert ein routiniertes, aber zugleich fesselndes Mafia-Epos ab. Erstaunlich wohin er mit der Kamera geht, um seine Geschichten zu erzählen, mit welcher Leichtigkeit ein Großteil des Filmes inszeniert wurde - aller Unverdaulichkeit von vielem, das man zu sehen bekommt, zum Trotz. Philadelphia hat für mich durch diesen Film ein neues Gesicht bekommen.
    Die Gesamtlänge des Filmes erfordert tatsächlich eine gewisse Ausdauer - in könnte jedoch nicht sagen, dass es Abschnitte im Film gegeben hätte, die ich uninteressant gefunden hätte - wenngleich man wahrscheinlich, wenn die Vorgabe anders gewesen wäre, vieles auch hätte weglassen können.
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    11.12.2019
    13:41 Uhr
  • Bewertung

    Lebenslauf eines Killers

    Martin Scorsese hat sich seinem Lieblingsthema gewidmet: der Mafia. Dieser überlange Film kommt einem fast vor wie ein Abgesang auf eine zu Ende gehende Ära. Als Grabgesang gibt es einen samtweichen Score aus bekannten Ohrwürmern, die hier nicht in der Originalversion zu hören sind, sondern in gefühlvollem Blues daherkommen. Darunter seltene Perlen von Johnny Ray oder Glen Miller. Eingerahmt wird die Handlung mit ‘In the Still of the Night.‘ Der Titel bezieht sich auf den Auftragskiller Frank (Robert De Niro). Er blickt in Retrospektiven auf sein Leben zurück. Sein familiäres Umfeld wird beleuchtet sowie seine wichtigsten Mitstreiter bzw. Gegner, darunter den Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa (Al Pacino) sowie die Bufalino Familie von der Cosa Nostra unter Russell (Joe Pesci). Sein Aufstieg und sein Ende. Freunde und Förderer sind alle tot. Sein Charakter steckt voller Überraschungen: anfangs unsicher und nie aneckend bringt er dann doch manchen Weggefährten um z.B. Hoffa, mit dem er lange eng zusammengearbeitet hatte. So muss wohl die Mentalität dieser Leute sein. Wenn es opportun ist, wird getötet ohne Mitleid oder Reue, wie Zähneputzen oder Rasenmähen. Es ist selbstverständlich. Das zeigt Frank im Gespräch mit dem Altenheimpfarrer. Er betet sogar, gesteht aber nichts. Nur Fotos bleiben ihm von Leuten, die keiner mehr kennt.
    Im Hintergrund laufen bedeutende historische Ereignisse aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Kubakrise (1962), Ermordung von J.F.K. (1963) oder der Serbien Krieg der NATO in den 90er Jahren.
    Wie in einem Epilog widmet sich das Drehbuch ausgiebig dem Lebensende des Iren. Er kauft sich einen Sarg. Der letzte Dreisprung seines Lebens: erst in die Kirche, dann ins Krankenhaus, dann auf den Friedhof. Breit angelegte Epik killt die Spannung.
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    07.12.2019
    18:06 Uhr
  • Bewertung

    Dreieinhalb Stunden seelenlose Langeweile!

    Altmeister Martin Scorsese erschafft ein 3 1/2 Stunden langes Mafia-Epos und alles, was in dem Genre Rang und Namen hat kommt unter den Steinen hervor gekrochen. Alleine die Besetzung liest sich wie ein Who Is Who der (männlichen) Hollywood-Riege: De Niro, Pacino, Pesci, Keitel, und und und. Alleine deshalb muss man als Kritiker schon zwangsläufig in die Knie gehen und eine Wertung unter 90% käme wohl einer Gotteslästerung gleich.

    FALSCH!

    Ich will nicht behaupten, dass der Film nicht seine Momente hat. Die schauspielerischen Leistungen sind erwartungsgemäß extraordinär. Technisch (Kamera, Schnitt, Ausstattung, etc) fehlt dem Film gar nichts. Und besonders im mittleren Teil weiß er zeitweise sogar zu unterhalten. Das war es dann aber an positiven Aspekten, die mir zu "The Irishman" einfallen.

    Nennen wir das Kind beim Namen...
    Kritikpunkt 1: Der Film ist einfach viel zu lang, schlimmer noch, künstlich in die Länge gezogen, und daher sterbenslangweilig. Jeder, der auch nur eine Inhaltsangabe von zwei Zeilen gelesen hat, weiß worauf das Ganze hinausläuft. Man wartet geschlagene 2 3/4 Stunden auf die zwei Minuten, bis die Schüsse fallen. Die letzte 3/4 Stunde ist dann ohnehin nur mehr schwer durchzustehen. Ich wage mal zu behaupten, selbst wenn man den Film auf zwei Stunden zusammen schneiden würde, wäre er immer noch langweilig. Die Story gibt einfach nicht so viel her.

    Kritikpunkt 2: Martin Scorsese hat sich in den letzten Wochen ja in den Medien darüber erbost, dass Marvel-Verfilmungen keine Seele hätten. Nun, ob das für den Großteil der Comicverfilmungen im Allgemeinen gar nicht so falsch sein mag, lassen wir einfach mal dahingestellt. Wenn ich aber im Speziellen den letzten Avengers-Film mit Scorseses aktuellem Werk vergleiche, so zieht letzteres leider bei weitem den Kürzeren. "Avengers: Endgame" hat zehnmal so viel Herz wie "The Irishman".

    Der Film plätschert von Beginn an einfach so dahin, Spannung sucht man vergeblich. Es gibt keine Identifikationsfigur, niemand für den man Verständnis oder gar Gefühle aufbringen könnte. Ob da wieder einer ins Gras beißen muss oder überlebt, ist eigentlich egal. Immer wieder erwischt man sich selbst dabei nachzuschauen, wie lange denn der Film noch geht. Selbst das Schnurren der Katze, die man während der Sichtung des Films nebenbei krault, ist mitunter interessanter als das, was der Beamer projiziert. Während man bei jedem anderen Film die Pause-Taste drückt, wenn den Raum verlässt, um dem getrunkenen Cola seinen natürlichen Weg zurück in die Freiheit zu gestatten, kommt man bei "The Irishman" nicht mal auf diese Idee - verpassen wird man in den drei Minuten Abwesenheit nicht viel...

    Fazit: "The Irishman" ist leider weit von Klassikern wie "Der Pate", "Scarface" oder "Es war einmal in Amerika" entfernt. Es ist ein Alterswerk von einem einst brillanten Regisseur, der es offenbar noch einmal wissen wollte... es aber leider nicht mehr schafft.
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    03.12.2019
    03:56 Uhr
  • Bewertung

    Ein Meisterwerk

    Exklusiv für Uncut
    Martin Scorsese gehört zu den wenigen Filmemachern, die für Kinokunst geliebt werden. Und mit „The Irishman“ ist ihm wieder ein Film gelungen, der Cineasten begeistern sollte. Ich bin happy, dass dieser Film unter Berücksichtigung der schweren Entstehungsgeschichte auch nur für kurze Zeit ins Kino kommt. Dort gehört er hin!

    Man taucht als Zuschauer nicht nur in die Vergangenheit ein, man hat das Gefühl selbst in den 60ern und 70ern dabei zu sein. In diesem Stile werden kaum noch Filme gemacht. Hätte Netflix nicht das Risiko übernommen, wären die angeblichen 200 Millionen Dollar als Produktionskosten nie finanziert worden, geschweige den von einem Major-Studio.

    Der Zuschauer bekommt ein Bild vom Aufstieg eines Kraftfahrers zum verlässlichen Killer der Mafia. Robert DeNiros darstellerische Leistung sowie die Maske sind zum Niederknien. Es wird ihm auch der Job des Beschützers von Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa angeboten. Al Pacino als der korrupte und übersensible, aber mächtige Dickschädel war nicht mehr so gut auf der Leinwand seit mindestens einem Jahrzehnt. Joe Pesci, der seine Karriere bereits an den Nagel gehängt hatte, bricht sein Vorhaben und überzeugt hier als ruhiger Gangsterboss, genau das Gegenteil seiner bekannten Rollen aus „Good Fellas“ und „Casino“, wo er als nervöser Gangster einem Angst einjagte.
    Was bedeutet mehr - Freundschaft oder Loyalität? Oder hat DeNiro gar nicht die Wahl zu entscheiden?
    Alle drei Schauspieler laufen zur Höchstform auf und würden sich den Oscar verdienen.

    Alles an „The Irishman“ ist Filmkunst auf höchstem Niveau. Die erwähnte Regie, die erwarteten Leistungen der Top-Schauspieler, die wunderbar geführte Kamera, der sensationelle Schnitt, die unglaublichen Maske, die bestens ausgewählte Musik und über allem das außergewöhnlich phantastische Drehbuch von Steven Zaillian.

    Er macht geschichtliche Zusammenhänge wie die Invasion bei der Schweinebucht auf Kuba verständlich. Auch das Interesse bzw. das Desinteresse der Mafia an den Kennedys und Fidel Castro wird nachvollziehbar erklärt. Der Rubel rollt nicht nur im Casino.

    Magisch herausgearbeitet hat der gefeierte Drehbuchautor nicht nur die Beziehung von DeNiro zum Mob und Hoffa, sondern auch das Verhältnis zu seinen Frauen und seinen vier Töchtern. Insbesondere eine Tochter weiß, was der Vater beruflich macht. Ob sie ihm verzeihen kann?

    Die 3 1/2 Stunden im Kino vergehen wie im Flug. Ich frage mich, wann ich wieder so ein Ereignis erleben darf.
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    16.11.2019
    18:55 Uhr