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    Vergebene Chance zweier Legenden

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Selbst eine Regie-Legende wie Werner Herzog kann nicht immer gewinnen. In seiner Doku „Meeting Gorbachev“ verabsäumt Herzog es dem Namen seines Filmes vollends gerecht zu werden. Und verfällt Teils der Zurschaustellung seines Egos, Teils in alt hergebrachte Fernseh-Dokumentation-Stilmittel.

    Eigentlich ist die Ausgangssituation die perfekte Auflage. Herzog, dessen Filme so prägend über die Jahrzehnte waren, und dessen persönlicher Pathos immer wieder durch das Filmmaterial durchsickert, trifft den ihm ebenbürtigen Mikhail Sergeyevich Gorbachev. Ein robuster Politiker, der sich mit seinem intellektuellen Verstand und seinen Reformen Perestroika und Glasnost und dem daraus resultierenden Ende der Sowjetunion seinen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert hat. Und wahrlich, in den Momenten in denen Herzog demonstrativ an der Pathosschraube dreht und die, in denen Gorbachev ihm stoisch, aber kurz angebunden antwortet oder widerspricht, gehören zu den Besten des Films.

    Aber leider fokussiert sich Herzog zu wenig auf den Schlagabtausch, sondern unterlegt den Film zum Großteil mit den althergebrachten Archivaufnahmen und der gebetsmühlenartigen Auflistung Gorbachevs Biographie. Informationen, die einfach nicht mehr neu oder interessant sind und die kostbare Zeit nehmen, die den Erzählungen Gorbachevs gewidmet sein könnten. Ob hier Herzog selber diese Darstellungsform wählte, oder dies Vorgaben von Produzent History Channel waren, seinen Film entlang gewisser hausinternen Vorgaben zu gestalten, sei dahingestellt.

    Womit Herzog dennoch punkten kann ist die perfide Art und Weise, in der er gelegentlich abstruse historische Ereignisse einbringt und genüsslich kommentiert. So macht er sich über die ZIB lustig, in der am Tag des Falls des Eisernen Vorhangs zwischen Österreich und Ungarn das Thema des Abends die Bekämpfung von Schneckenplagen im Garten war. Ebenso faszinierend sind ein Teil der außenstehenden Interviews mit Zeitgenossen, die auf treffendere Art und Weise Gorbachevs Erbe einzuordnen vermögen, als Herzog es selber im ganzen Film vermag.

    Das Herz des Filmes ist jedoch Gorbachev und sein Gegenhalten zu dem Pathos, den Herzog ihn gerne unterwerfen möchte. Zumeist entwickelt sich darauf eine unterhaltsame Dynamik. So erzählt Gorbachev, dass seine erste Begegnung mit Deutschen nicht wie von Herzog angedeutet eine mit Nazis war, sondern mit den Besitzern eines Süßwarenladens. „Ich dachte wer solche Süßigkeiten macht, kann nicht böse sein,“ schießt er danach noch hinterher. „Den Amerikanern ist der Kalte Krieg zu Kopf gestiegen,“ meint er an einer anderen Stelle, „Es hätte keinen Frieden gegeben, wenn wir das nicht alle gewollt hätten. Wir waren alle Gewinner.“

    Herzogs Fanboy-Verhalten geht dennoch gelegentlich auch schief. Die Fragen, wie sehr ihm seine Frau fehlt und was auf seinem Grabstein stehen soll, sorgen weniger für Unterhaltung, sondern eher für Fremdschämen beim Zuschauer. Ebenso beweist der Film aufs neue, dass Herzog die Qualität seiner eigenen Stimme als Voice-Over-Mittel gnadenlos überschätzt und seine wiederholte überkandidelte dramatische Stimme mit ihrem Kaugummiartigen deutschen Akzent dem Film viel Seriosität nimmt.

    Hier wurden eindeutig Chancen vertan einen 87-jährigen Mann, der am Alter und an fortgeschrittener Diabetes leidet, in einem seiner vermutlich letzten Jahre noch ein würdiges Denkmal zu setzen. Der Film wirkt mehr wie die schlampige Umsetzung eines Bucket-List-Wunsches Herzogs als eine Doku mit Neuigkeitswert.
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    08.11.2018
    10:45 Uhr