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7 Bewertungen
86.4% Bewertung
  • Bewertung

    Child of (wo)men

    Kaum einer der Filme von Alfonso Cuaron ist mir so nachdrücklich in Erinnerung geblieben wie sein apokalyptisches Zukunftsmärchen "Children of Men". Die fein eingearbeiteten Bezüge zur biblischen Erlösergeburt waren dabei eine feine und intelligente Anspielung auf den Transzendenzbezug des Themas. Hier sind es zwei Frauen, die zum Ankerpunkt einer tiefgründig und mit viel Geduld erzählten Familiengeschichte werden. Neuerdings wirkte Cuaron auch hinter der Kamera und hat sich sofort den Respekt der Filmwelt verdient, speziell auch seiner Kollegenschaft der Kameraleute. Wer sich dem Film wach und bereit aussetzt wird für die Bereitschaft mehr als belohnt. Selten ist ein Film über ein so brisantes Thema so unter die Haut gegangen. Die ersten 40 Minuten des Filmes erfordern allerdings cineastische Belastbarkeit, denn er lässt sich im Erzähltempo sehr, sehr viel Zeit . "Ich kann nicht reden, weil ich tot bin. Es gefällt mir, tot zu sein." hören wir gleich zu Beginn nach rund 15 Minuten Film, von denen wir 7 davon mit den Anfangstiteln verbracht haben, in denen Wasser über Fliesen rinnt und in der Spiegelung des Wassers ein Flugzeug zu sehen ist...
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    15.02.2019
    06:54 Uhr
  • Bewertung

    Sofia und Cleo

    Es ist mehr als nur ein reiner Mädels Film in s/w, auch wenn 95% davon so bezeichnet werden könnten. Wir sehen die Lebensentwürfe von zwei unterschiedlichen Frauen, die an der Liebe scheitern. Das Ganze findet im Stadtteil Roma von Mexiko City statt. Señora Sophia (Marina de Tavira), Mutter von fünf Kindern, wird von ihrem Mann verlassen und ihr Kindermädchen Cleo (Yalitza Aparicio ), eine einheimische Mixtekin wird von Fermin einem kraftstrotzenden Kampfsportler schwanger.
    Ganz subtil werden Handlungsstränge von außen in das Hauptgeschehen eingebunden. Das kann eine Feuersbrunst sein, die ebenso wenig Bedeutung hat wie das Eidenchsenjagen der Kinder auf dem Acker. Fermin hatte vor dem Geschlechtsverkehr Cleo durch Übungen im Adamskostüm mit einem Kampfstock beindruckt. Als sie ihn mit der Vaterschaft konfrontiert, meint er nur lakonisch ‘Was geht mich das an?! Das ist dein Problem!‘ Ein weiterer Bezug von außen ist das historisch verbürgte Fronleichnamsmassaker von 1971. Hier wurden linke Studenten von regierungstreuen paramilitärischen Verbänden gejagt. Cleo will gerade ein Kinderbett kaufen, als die Paras wild um sich schießend im Kaufhaus die Studenten verfolgen. Plötzlich steht Cleo vor Fermins Pistolenlauf… Geburt nach geplatzter Fruchtblase betont wieder den Aspekt Frauenfilm. Es wird eine Totgeburt geben.
    Auch im finalen Familienausflug ans Meer spielt Regisseur Cuarón (auch Kamera und Schnitt) mit den Erwartungen der Zuschauer. Cleo kann nicht schwimmen und versucht dennoch den Jüngsten aus den Wellen zu retten. Sie wird bei der Familie als Kindermädchen bleiben müssen, während die Señora Sophia dank ihrer Ausbildung in eine finanziell abgesicherte Zukunft steuern kann.
    Nach langer Anlaufphase steckt der Zuschauer so tief im Familienverband drin, dass er die Ein - und Auswirkungen der Gesellschaft nachvollziehen kann. Dabei erhält er Einblicke in mexikanische Slums sowie den Bezug des hier lebenden Fermin als Ausbildungspotential für paramilitärische Verbände. Die kraftbringende Darbietung von Professor Zovek vor den Kampfverbänden wirkt eher erheiternd.
    Oscarnominiert!
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    14.02.2019
    11:39 Uhr
  • Bewertung

    Melancholischer Liebesbrief an die Kindheit

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Fünf Jahre nach seinem Oscarerfolg mit „Gravity“ zieht es den mexikanischen Regisseur Alfonso Cuaron von den Sternen zurück in sein Heimatland Mexiko. In „Roma“, seinem nach eigener Aussage bisher persönlichsten Film, begleitet er über ein Jahr lang die Angestellte Cleo (Yalizta Aparicio), die bei einer gut situierten Familie der 70er Jahre das Haus putzt und die Kinder großzieht. Die Hommage an seine eigene Nanny lässt Cuaron ohne gröbere Handlungsbögen vor sich hinsimmern. Es ist nicht sofort klar welche Geschichte er genau erzählen will. Was dabei aber durch seine meisterhafte Führung herauskommt ist ein ruhiger, melancholischer Eindruck einer vergangenen Zeit, der Alltag und die Herausforderungen jener Frauen, die denen so ähnlich sind die Cuaron aufgezogen haben.

    Cleo, eine junge Frau mesoamerikanischer Abstammung, kümmert sich gemeinsam mit ihrer Freundin Sofi (Daniela Demesa) um den Haushalt einer Arztfamilie im Mexikostadt-Stadtteil Roma. Dr. Antonio (Fernando Grediaga), seiner energischen Frau Sofía (Marina de Tavira) und den vier Kindern Toño, Paco, Pepe und Sofi (Cuaron hat sich selbst im jüngsten Sohn verewigt). Cleo lebt ein sehr annehmbares Leben in der Familie. Die Kinder lieben sie und neben den Haushaltspflichten darf sie abends der Familie auch beim gemeinsamen Fernsehen beiwohnen. Filme spielen, ähnlich wie in Cuarons Leben, eine wichtige Rolle, immer wieder wird gemeinsam vorm Fernseher gesessen und auch entscheidende dramatische Twists im und vor dem Kino ausgestanden.

    Gleichzeitig wird auch klar, dass Cleo von der Gunst der Familie abhängt. Die wenig gebildete ruhige Frau wirkt in erster Linie als Beobachter der Welt um sie herum, als sie von ihrem Freund Fermín (Jorge Antonio Guerrero) schwanger wird, bricht beinahe ihre Welt zusammen. Die Angst gefeuert zu werden bewahrheitet sich jedoch nicht. Sofia und die Familie versprechen ihr die nötige Unterstützung nachdem Fermín sie ob der Aussicht Vater zu werden sitzen lässt. Während Cleo im Laufe des Films ihre Schwangerschaft navigiert muss die Familie ihr eigenes Drama durchstehen. Antonio scheint das Familienleben nicht sonderlich zuzustehen, in langen Streitereien mit seiner Frau beklagt er den Dreck und den Zustand des Hauses. Eines Tages begibt er sich auf eine ominöse Business-Konferenz in Kanada. Erst Monate später traut sich seine verlassene Frau den Kindern die Wahrheit über seine lange Abwesenheit zu sagen.

    Doch bevor es soweit ist streift Cuaron durch die alltäglichen Herausforderungen seiner Figuren, verwebt sie immer wieder mit geschichtlichen Anekdoten und Eindrücken, ohne jedoch den Fokus seiner Handlung zu verlieren. Ein kurzes Erdbeben verortet den Film schnell einmal in Mexiko und lässt erste Vorahnungen auf 1982 heraufkommen. Und dann sind da noch die Studentenaufstände gegen die Regierung, die im Corpus-Christi-Massaker endeten und die eine alte Cuaron-Handschrift heraufbeschwören, seine durch „Children of Men“ berühmt gewordenen Tracking Shots. Alles, woran die Figuren festhalten können, scheint somit ewig im Wanken. Sofia hat die Kinder und ihre soziale Stellung, Cleo, so wird klar, hat im schlimmsten Fall jedoch niemanden. Eine Konfrontation mit dem zukünftigen Vater ihres Kindes endet in einer Morddrohung. „Egal was sie dir sagen, wir sind immer allein“, erklärt eine verbitterte Sofia eines Abends. Eine Lektion, die Cleo sich im Laufe des Films aneignet, nur um dann über sie hinauswachsen zu müssen.

    Sinnbildlich fasst sich der Film in dem Ford Galaxy der Familie zusammen. Das Fortbewegungsmittel ist die Quelle vielen Unmuts. Nie passt er in die Garage, immer wieder werden die Spiegel zerstört. Dass Sofia eines Tages das alte Gefährt, das von ihrem Mann so geliebt wurde, gegen ein kleineres neues Auto ausgetauscht wird, steht sinnbildlich für den Wandel der Figuren, den politischen Wandel mit all seinem Horror und den Wandel der Zeit. Ein Sinnbild der Gesellschaft, die sich trotz aller ihrer Rückschläge vorwärtsbewegt.
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    10.09.2018
    18:29 Uhr