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    Geträumtes Glück

    Ein ungewöhnlicher Film, der die Perspektiven wechselt wie andere Leute die Hemden. Will sagen: die Handlung beginnt in der Realität, in dem kleinen Dorf Inviolata. Die Leute leben noch fast wie Leibeigene auf der Tabakplantage der Marchesa de Luna (Nicoletta-Benigni-Braschi). Hier ist Lazzaro (Adriano Tardiolo), ein von allen geachteter junger Mann: lieb, fleißig aber etwas schlicht. Er freundet sich mit Tancredi (Luca Chikovani) an, dem Sohn der Marchesa und versteckt ihn an einem geheimen Ort, den nur er kennt. Kurz darauf stürzt Lazzaro in eine tiefe Schlucht – und überlebt… (das Lazarus – Phänomen!)
    Jetzt geht es in einen Zwischenbereich, also mit einem Bein in der Realität und mit dem anderen im Märchen: ein Wolf findet Lazzaro. Die Dorfbevölkerung samt Marchesa wird umgesiedelt, Lazzaro trifft in der leeren Villa auf Einbrecher. Die bringen ihn zu seinen Leuten und die glauben an ein Wunder, als sie ihn lebend sehen. Auch Tancredi taucht wieder auf und lädt alle ein. Ein Fake! Die Gemeinschaft will jetzt nach Inviolata zurück, Lazzaro geht allein in eine Bank, um Tancredi sein Geld zu beschaffen. Jetzt geht es wieder ins Märchenland. Sphärische Klänge erklingen aus einer Kirche, Lazzaro wird von den Bankkunden verprügelt, ein Hauch von Gesellschaftskritik umweht den Plot. Der Feudalismus scheint überwunden zu sein. Aber ist der Kapitalismus besser? Vielleicht hat ja auch David Bennent recht, der bei seinem Cameo Lazzaro und Tancredi als ‘Parodie‘ bezeichnet, wenn Lazzaro zum Geheul der Wölfe Dudelsack spielt.
    Von der Dorfgemeinschaft sieht man nichts mehr, nur der Wolf läuft am Verkehrsstau entlang auf Land…Bleibt die Frage, ob Lazzaro wirklich glücklich ist?
    Typischer Festival Film, in dem der Charme der Akteure und das authentische Ambiente den Zuschauer von der Realität ins Land der Träume und wieder zurück entführen.
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    16.11.2020
    19:22 Uhr
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    Lazzaro auf der Suche

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die biblische Figur des Lazarus diente der italienischen Filmemacherin Alice Rohrwacher als Grundidee für ihren neuesten Film „Lazzaro felice“, der seine Premiere 2018 bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes feierte, wo er auch im Wettbewerb um die Goldene Palme lief. Nun war er außerdem als Eröffnungsfilm auf der diesjährigen Viennale zu sehen.

    Inviolata - ein Bauerndorf, irgendwo in der Einöde Italiens: Der genügsame Lazzaro (Adriano Tardiolo) lebt hier gemeinsam mit anderen LandarbeiterInnen unter der strengen Herrschaft der sogenannten „Giftschlange“, der Marchesa Alfonsina de Luna (Nicoletta Braschi). Der Alltag der ArbeiterInnen ist gekennzeichnet durch harte körperliche Arbeit im Dienste der Familie de Luna. Als Lazzaro jedoch eines Tages Freundschaft mit Tancredi (Luca Chikovani), dem Sohn der Marchesa, schließt, führt dies nicht nur zu einer vorgetäuschten Entführung, sondern ebenso zu einem Band, dass auch durch die Zeit hindurch erhalten bleibt.

    Wenn man an die italienische Filmlandschaft denkt, kommt man nicht am Neorealismus vorbei. Der Einfluss, den diese filmische Strömung der 1940er und 50er Jahre auf „Lazzaro felice“ zu haben scheint, ist unbestreitbar. Die raue Filmästhetik ist ein zentraler Faktor, der durch eine geradezu magische Komponente erweitert wird. So werden verschiedene Genres miteinander vereint: Rohwachers Film ist Sozialdrama, Milieustudie aber auch fantastischer Film in Einem.
    Hinzu kommt das Spiel von Gegensätzen, die den Film durchziehen: besagter Realismus trifft auf Magie, Humor (v.a. im Bereich der Situationskomik) auf dramatische Momente, aber auch das Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart nimmt eine zentrale Rolle ein – gerade die zwei Zeitebenen, aus denen sich die erste von der zweiten Hälfte des Filmes abgrenzt, wirken wie zwei eigenständige Filme, die sich in ihrer Inszenierung und Ästhetik voneinander unterscheiden. Gerade dass es Rohrwacher gelingt, dass die beiden Teile trotzdem nahtlos ineinandergreifen, macht den Film so sehenswert.

    Das moderne Märchen besticht darüber hinaus durch wunderschöne Bilder, die mitunter gar traumgleich wirken. Die Groteske findet hier Einklang mit einer Schilderung von kapitalistischen Werten und Ausbeutung sowie einer Erzählung von Empathie und Unschuld, wobei Letztere vor allem anhand der Figur des Lazzaro verdeutlich wird. Der Newcomer Tardiolo leistet sehr gute Arbeit bei der Darstellung der äußerst gutmütigen, wenn auch naiven und oftmals gar übermenschlich anmutenden Hauptfigur.

    Was ist nun „Lazzaro felice“? Eine Neuinszenierung eines biblischen Motivs? Eine Geschichte über Ausbeutung und Klassenunterschiede? Eine filmische Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart? Ja, es scheint, als wäre es das alles. Und, nicht zu vergessen, auch folgendes: Eine Geschichte über Freundschaft.
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    26.10.2018
    09:46 Uhr