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    Gescheiterte Liebe im Kalten Krieg

    Exklusiv für Uncut
    Das Schema der Liebenden unter einem schlechten Stern ist nicht neu, aber selten war es so berührend und intim wie in Paweł Pawlikowskis „Cold War“. Die Ode an seine eigenen Eltern brachte dem polnischstämmigen Regisseur heuer in Cannes den Preis für die beste Regie ein und nimmt den Zuschauer auf eine laufzeittechnisch kompakte aber emotional breitgefächerte Reise durch das Europa des Kalten Krieges.

    Die Geschichte von Wiktor (Tomasz Kot) und Zula (Joanna Kulig), die zwar die Namen von Pawlikowksis Eltern teilen aber nicht deren Biographie, setzt unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Nach der großflächigen Zerstörung und den Wunden der Invasion befindet sich das neugeformte unabhängige Land auf der Suche nach Identität. Diese glauben Wiktor und seine Kollegin Irena (Agata Kulesza) im ländlichen Volkstum zu finden. Mit dem Aufnahmegerät reisen sie von Stadt zu Stadt um die Lieder der Bevölkerung aufzunehmen. Gesänge über Liebe, das Trinken und die harte Arbeit akkumulieren sich und werden von den beiden mit dem eigens dafür gegründeten Mazurek Ensemble (basierend auf der historischen Mazowsze Truppe) vor einem städtischeren Publikum zur Aufführung gebracht.

    Mitglied der Truppe ist auch die junge Zula, eine mysteriöse Frau die angeblich ihren Vater getötet hat („Er verwechselte mich mit meiner Mutter, ich zeigte ihm den Unterschied mit einem Messer.“) und sich als einfaches Bauernmädchen ausgibt. Dennoch scheint sie betuchter zu sein als zu erwarten wäre, immerhin singt sie russische Lieder, die sie im noch nicht weit verbreiteten Fernsehen gesehen hat. Wiktor ist sofort fasziniert von dem Freigeist der jungen Frau und mit der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden eine Liebesbeziehung. Doch der Eiserne Vorhang und die kommunistische Regierung lassen nicht lange auch sich warten um ihren Einfluss geltend zu machen. Der gerade neu gefundenen Verwurzelung der polnischen Kunst wird von Seiten des Staates ein solidarisch-roter Anstrich verliehen. Es dauert nicht lange und das Ensemble singt von Stalin und den Ertüchtigungen der braven Bauern.

    Was folgt sind turbulente 15 Jahre, die von Polen nach Berlin über Paris und bis nach Ex-Jugoslawien reichen. Wiktor will mit Zula 1952 im noch ungeteilten Berlin in den Westen fliehen. Sie stimmt erst widerwillig zu, taucht dann aber nicht auf. „Ohne dich wäre ich nie gefahren“, erklärt sie ihm Jahre später bei ihrem ersten Wiedersehen. Die Angst, das Gewohnte zu verlassen und im Westen ein Nichts ohne Perspektive zu sein, ist ein altbekannter Widergänger aus vorangegangenen Ost-West-Geschichten. Immer wieder folgt Wiktor dem Ensemble um Zula zu überzeugen, in Paris mit ihm glücklich zu werden.

    Als sie schließlich mehrere Monate gemeinsam in der französischen Hauptstadt verbringen, geraten ihre verschiedenen Weltsichten erneut aufeinander. Wiktor, bourgeoiser Lebemann und Künstler mit den idealistischen Träumen, Zula, die Pragmatikerin, die als Osteuropäerin mit Vorurteilen konfrontiert wird und in ihrem Wiktor keinen Mann mehr sieht zu dem sie aufblicken kann. Die Wege trennen sich erneut und langsam beginnt der sich verschärfende Ost-West-Konflikt den beiden auch persönliche Opfer abzufordern.

    In gerade einmal 85 Minuten schafft Pawlikowski das, was viele andere Filmemacher mit einer Laufzeit von zwei bis drei Stunden versuchen und trotzdem scheitern. Sein Film ist ein Querschnitt durch die Hindernisse einer dramatischen Liebe, den Wandel seiner Protagonisten und die bedrückende Enge des Kalten Krieges, verdeutlicht durch die schrumpfenden Freiheiten seiner Figuren. Gefilmt in 4:3 und in schwarz-weißen Bildern verleiht die Kamera dem Geschehen auf der Leinwand eine zusätzliche Aura des Vergänglichen und Gestrigen, beschränkt den Blickwinkel und holt im nächsten Moment doch wieder aus.

    Getragen wird der Film ebenso von seinen hervorragenden Darstellern, insbesondere der Bandbreite von Kuligs Zula, die vom netten Mädchen von nebenan zu tragischen Diva mutiert und mit ihrem rauchigen Hauchen ins Mikrofon jeder französischen Jazzsängerin Konkurrenz macht. Durch ihre und Kots wunderbare Chemie entfaltet sich eine berührende und tragische Liebesgeschichte, die entsprechend ihrem musikalischen Naturell gekonnt die lauten und leisen Töne zu treffen vermag.
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    20.10.2018
    13:27 Uhr