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    Familienaufstellung in Bayrisch

    Exklusiv für Uncut
    Vor ein paar Jahren hat mir mal jemand erzählt Josef Bierbichler sei jüngst gestorben, ich glaub sogar mit dem Zusatz „Selbstmord“. Offenbar war ich damals zu faul dem nachzugoogeln, denn dass der neben Gerhard Polt in seiner Generation ernstzunehmendste Bayer eh noch lebt wäre leicht rauszufinden gewesen. Gewundert hat mich sein vermeintlicher Tod damals jedenfalls nicht, denn bei den von innerer Zerrissenheit gebeutelten Figuren für die Bierbichler berühmt war, hatte man immer das Gefühl, dass er sich da eigentlich selbst spielt. Auch von seinem literarischen Output heisst es, dass er vorwiegend autobiographisch motiviert wäre. Und so kommt’s, dass der gar nicht mal so tote Bierbichler nun seinen Roman „Mittelreich“ gleich selbst verfilmt hat.

    Wenn der Grandseigneur der süddeutschen Theater- und Filmszene zum Dreh ruft, dann kommen alle Wegbegleiter um mitzumachen. So liest sich die Besetzungsliste wie ein Who-is-who derer, die aktuell im deutschsprachigen Film schwer zu toppen sind: Martina Gedeck, Sophie Stockinger, Simon Donatz und, und, und.

    Als Einstieg in den Erinnerungs- und Generationenfilm dient der Klassiker schlechthin: man trifft sich beim Begräbnis der zentralen Frauenfigur, der Wirtin, Gattin und Mutter. Übrig bleiben nach dem Leichenschmaus nur der hünenhafte Vater und sein zornig verschlossener Sohn. Der Vater beginnt sich, sichtlich mit Mühe, zu erinnern und erzählt dem Nachgeborenen Epsioden aus der Familiengeschichte. Warum’s so kam, wie es kam und warum es für keinen leicht war. Das Leben am familiären Gasthof, vom Sturm und Drang in politisch turbulenten Zeiten und vom Zwang eines ungewollten Erbes. Kreuz und quer springt die Erzählung durch das Jahrhundert, mal von vorne, mal von hinten. Wie das eben so ist mit den Erinnerungen.

    Dass die Figuren auch im echten Leben Vater und Sohn sind macht die Sache für den Zusachauer glaubhafter, aber stellenweise auch verwirrend: Bierbichler und Donatz sehen sich so unheimlich ähnlich, dass sie mühelos, den jeweils anderen darstellen können, gleichzeitig einem beim zusehen manchmal die Zeitebenen durcheinandergeraten: ist das nun der Vater (Schauspieler) der den Urgroßvater (Handlung) spielt und ist der Sohn (echt) nun Sohn (Film) oder Vater (Film) in jüngeren Tagen? Aber das ist halb so wild. Wenn man gut aufpasst, dass sollte das kein Problem sein. Weit schlimmer für den Film ist, dass Bierbichler sich offenbar von nix trennen konnte: die meisten der Episoden ufern irgendwann aus, fransen so vor sich hin und führen zu nix. Es ist zwar durchaus verständlich, dass die Figur des „fliegenden Holländers“ aus der gleichnamigen Wagneroper das Bierbichler'sche Lebensgefühl ideal zusammenfasst (im Film muss er auf eine Sängerkarriere verzichten, weil sein im ersten Weltkrieg blödgeschossener älterer Bruder als Erbe ausfällt), aber darum müsste man noch lange nicht langschweifig den alternden Sepp zeigen wie er den Elementen der hassgeliebten Bayernlandschaft trotzend endlos unverständliche Passagen daraus nachkrächzt.
    Die Freude über etliche gelungene, ja grandiose Strecken des Filmes (eine grandiose Ensemble-Leistung: das Faschingsfest!!) wird meist bald getrübt durch diese Unfähigkeit Bierbichlers Wegzulassen. Klar, bei der Aufarbeitung des eigenen Lebens, besonders wenn man damit unzufrieden war, ist jedes kleinste Detail wichtig. Aber eben nur für den Aufarbeiter selbst. Zweieinhalb Stunden beim Bauchnabelboren zuzusehen sind für zahlendes Kinopublikum dann wohl doch etwas zuviel verlangt. Da helfen auch die beiden Anzugträger aus dem Titel nix, die – vermutlich symbolische Sommerfrischegäste – immer wieder ohne ersichtlichen Grund durch die Handlung spazieren und den Film ins surreale hieven. Letztlich tun sie genau das, was sich Bierbichler und Wagners Holländer am sehnlichsten gewünscht haben: dem irdischem Pallawtsch entfliehen in dem sie fröhlich plaudernd ins Wasser gehen, den Abspann hinter sich herziehend (Nein, das ist kein Spoiler!). Warum sie das tun, weiß man nicht so genau. Man wird das Gefühl nicht los, dass ihnen der Film auch schon etwas zu lang gewesen sein könnte.

    Bleibt zu hoffen, dass die biographische Arbeit zumindest für Vater und Sohl heilsam war. Und für uns Aussenstehende erscheint ja vielleicht dereinst eine abgespeckte Version auf DVD. Die würd ich dann empfehlen.
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    04.04.2018
    11:26 Uhr