2 Einträge
6 Bewertungen
88.3% Bewertung
  • Bewertung

    Wenn man von der Vergangenheit eingeholt wird

    Ruth Beckermanns neuestem Werk "Waldheims Walzer", das zwar ausschließlich aus Archivaufnahmen besteht, gelingt es dennoch etwas nie da gewesenes darzustellen. Der Skandal rund um die Vergangenheit des ehemaligen UN-Generalsekretärs und Bundespräsidenten Österreichs wird aus allen möglichen Blickwinkeln beleuchtet, sogar Originalaufnahmen der Regisseurin, die bereits in jungen Jahren gegen die Kandidatur Waldheims protestiert hat, werden in der Dokumentation gezeigt. Insgesamt ein sehr stimmiger Dokumentarfilm, der vor allem durch das ausdrucksstarke Voice-Over von Frau Beckermann und einen außerordentlich guten Schnitt, die besondere Aktualität und Wichtigkeit dieser Thematik aufzeigt, sowie Verbindungen zu heutigen politischen Entwicklungen herstellt.
    img_20211124_211334_170_479b6b0698.jpg
    28.03.2018
    12:12 Uhr
  • Bewertung

    Von Gedächtnislücken und Lebenslügen

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    „Jetzt erst recht“ steht in großen schwarzen Lettern auf den Plakaten. Eine „Verleumdung und Schmutzkübelkampagne aus dem Ausland“ wird gewittert, man habe mit Nazis ja nichts zu tun gehabt. Was verdächtig nach jüngster Wahlkampfrhetorik aus Österreich klingt, stammt eigentlich aus den 80ern. Der „Angeklagte“: Kurt Waldheim, ehemals ÖVP-Außenminister, zweifacher UNO-Generalsekretär, erfahrener Diplomat und nunmehriger Kandidat fürs Bundespräsidentenamt der Zweiten Republik. Der „wütende Mob“: Journalisten, Intellektuelle und der Jüdische Weltkongress die nachgewiesen hatten, dass Waldheim große Teile seiner Kriegsbiographie ausgelassen hatte und nicht so unwissend über die Nazigreuel hätte sein können wie immer behauptet. Die Folge: ein politisches Erdbeben und Bruch mit der „erstes Opfer“-Lebenslüge Österreichs. Wie das Land diese fünf Wochen vor der Wahl erlebte, hat die Filmemacherin Ruth Beckermann in ihrem neuen Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ eingefangen.

    Beckermann gelingt das Kunststück, nicht selber Politik mit dem Film treiben zu wollen und Waldheims Schuld oder Nichtschuld im Alleingang klären zu wollen. Vielmehr lässt sie das Phänomen sich selbst entfalten. Wohlwollende Fernsehberichte stehen im Kontrast zu den Anschuldigungen in Amerika, in den Straßen Wiens gehen Sympathisanten und Demonstranten zu verbalen Gefechten über. Mittendrin auch Beckermann selbst. Neben zahlreichem ORF-Material, ausländischen Fernsehberichten und nie gezeigtem Material, wie Waldheim Sohn Gerhards kläglicher Versuch seinen Vater vor einem US-Hearing zu verteidigen, fügt die Regisseurin auch persönlich gefilmtes Material aus jener Zeit ein. Sie habe den Film aus der Perspektive erzählt, die sie damals eingenommen habe, die einer Aktivistin die sich nicht sicher war ob sie nun dokumentieren soll oder demonstrieren. Das milchige Schwarz-Weiß-Material, das der Zuschauer zu sehen bekommt, erweist sich als schicksalhafter Glücksfall. Eigentlich war es schon als verloren gegolten, bis Beckermann plötzlich eine VHS-Kassette damit in die Hände fiel. „Zur richtigen Zeit“ wie sie sagt.

    Der einzige Kritikpunkt in der Fülle an inkludiertem Material ist das Anreißen der Palästinenserfrage. Der Besuch Jassir Arafats und der Hinweis, Waldheim und Kreisky hätten mit diesem zu Waldheims UN-Zeit zusammengearbeitet, schafft eine unpassende Parallele zu möglichen antisemitischen Verbrechen Waldheims im Krieg. Beckermann hätte es nicht nötig gehabt diese Fass auch noch aufzumachen, der Film funktioniert bestens ohne weitere politische Konflikte zu thematisieren. Der Mann „dem die Welt“ vertraut, wie die Wahlkampfplakate suggerieren wollten, entzaubert sich im Laufe der 93 Minuten selber durch sein krampfhaftes Festhalten an einer „alternativen Realität“.

    Die gewitzte Montage von Dieter Pichler erlaubt es dem Zuschauer emotional dabei zwischen Fassungslosigkeit, Fremdschämen und morbider Belustigung zu wechseln. Der „brave Soldat“ Waldheim versucht immer wieder sich mit denselben ausschweifenden Ausreden und den Hinweis auf österreichische Opfer des Krieges aus jeglichem Wissen um Deportationen rauszureden, ranghohe Vertreter der ÖVP wie Michael Graff wettern gegen diese „Verschwörung“ und lassen den „ehrlosen Gesellen“ beim Jüdischen Weltkongress ausrichten, man „wolle diese Gefühle in Österreich nicht“. In den Straßen geht es nicht weniger ausfällig zu. So muss sich ein Waldheim-Gegner am helllichten Tag die Beschimpfung „Judenschwein“ an den Kopf werfen lassen. Opferstatus schaut wahrlich anders aus.
    susn_15a35adfde.jpg
    18.02.2018
    22:32 Uhr