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    Falsches Medium

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    Immer wieder gleitet die Kamera in Detailaufnahme über die nackten Körper, zeigt Unebenheiten, Formen und private Einblicke. „Intimität“ ist das Thema, das die rumänische Filmemacherin und Künstlerin Adina Pintilie sich für ihren ersten Spielfilm ausgesucht hat. Obwohl, wenn man von einem Spielfilm redet, kommen eher klassische Modelle im Bereich Doku und Fiktion in den Sinn. „Touch Me Not“ ist ein bisschen was von allem und vieles andere auch. Ein zweistündiges filmisches Experiment, das eher als Kunstinstallation in eine Ausstellung gehört als in den Wettbewerb eines Filmfestivals.

    Die „Handlung“ setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Gemeinsam mit ihren Darstellern Laura Benson, Tómas Lemarquis und Christian Bayerlein hat Pintilie ein Konzept entwickelt. Irgendwo zwischen Fiktion und Realität angesiedelt verfolgt die Kamera die drei Figuren, wie sie sich dem Thema Intimität annähern. Benson als Frau, die nicht berührt werden möchte, aber mit diesem Manko trotzdem immer wieder bricht. Lemarquis thematisiert das reale Trauma, mit 13 alle seine Haare verloren zu haben und der körperlich behinderte Christian Bayerlein zeigt, dass auch er einen Silberstreifen am Horizont gefunden hat um sich in seinem Körper wohl zu fühlen.

    Bayerlein ist das Herz und die Seele des Films, und immer wenn er zu reden beginnt und aus seinem Leben erzählt beginnt die Geschichte auch ihre seltsame Faszination zu entfalten. Aber das reicht Pintilie nicht, sie verwebt diese Momente der Aufrichtigkeit mit seltsamen konstruierten Sequenzen, in denen sich die Charaktere gegenseitig durch die Stadt verfolgen oder andere beobachten, untermalt mit krächzender schwerer Musik und einem bedrohlichen Blaustich in der Kamera. Besonders platt: Lemarquis wiederholte Ausflüge in einen SM-Club, in dem er auch Bayerlein mit seiner Frau Grit trifft. Die automatische Verbindung von Intimitätsproblemen mit dem erlösenden „let go“ in einem SM-Club wirkt etwas banal und ist nur einer der vielen Gründe, warum der Film nicht funktioniert. Der sehr ungeniert gezeigte Gruppensex und das Bondage sind da das kleinere Problem.

    Das Wechseln zwischen den Realitätsebenen ist ebenso ein Problem. Pintilie schafft sich ihre eigene kleine Welt, in der alles in Weiß getaucht ist, sowohl die Kleidung der Akteure als auch die Räume und Gebäude, durchbricht diese aber immer wieder mit der Realität. So sind die gezeigten Escorts, die transsexuelle Hanna Hofmann und der Sex-Esoteriker Seani Love reale Personen, die Bensons Charakter helfen wollen. Auch inszeniert sich die Regisseurin selber immer wieder selbst im Bild, mal als Videocall, mal auf der Couch. Was sie damit erreichen will ist unklar, eine weitere nützliche Metaebene bringt sie dadurch nicht ein.

    Insgesamt ist ein ambitioniertes Projekt, aber eines das die Herausforderungen eines Zwei-Stunden-Films noch nicht gemeistert hat. Zu wirr, zu platt, zu banal sind manche Ideen, um den Zuschauer wirklich herauszufordern. Viel eher wirkt der Film auf Dauer irritierend und hat es auch geschafft, dass viele Journalisten den Saal während der Vorstellung verlassen hatten. Ein Goldener Bär war das wahrlich nicht.
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    02.03.2018
    21:05 Uhr