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    Drogendrama im falschen Format

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    Wenn man Drogen durch Beten und Gott ersetzt, findet man Erleuchtung oder ersetzt man einfach die Droge? Der französische Regisseur Cédric Kahn sagt nein, es würden einfach nur neue Regeln im Leben etabliert werden. Beweisen will er das mit seinem semi-dokumentarischen Film „La prière“, der irgendwo zwischen einfühlsamen Porträt und sektenähnlicher Projektionsfläche schwankt.

    Der 22-jährige Thomas (Anthony Bajon) stößt zu einer Gemeinschaft junger Männer in den französischen Alpen um von den Drogen loszukommen. Jeder der Ansässigen kommt aus einem zerrütteten Familienverhältnis oder von der Straße und versucht in der religiösen Gemeinschaft mittels harter manueller Arbeit und Gebet ein neues Leben zu beginnen. Thomas hat anfangs Probleme sich in die strengen Bedingungen einzufügen und verlässt auch im Streit mit seinem „großen Bruder“ Pierre (Damien Chapelle) und Campleiter Marco (Alex Brendemühl) nach zwei Wochen bereits die Gruppe. Im Dorf kann ihn die junge Sybille (Louise Grinberg) dazu überreden wieder zurückzukehren. Langsam, mit viel Willen und Einfühlsamkeit, wandelt sich der ruhige Thomas zu einem Menschen mit der Zuversicht durch Freundschaft und dem Vertrauen in höhere Mächte ein neues Leben beginnen zu können.

    Die Idee zu dem Film kam Regisseur und Drehbuchautoren durch die Begegnung von Junkies in realen religiösen Drogeneinrichtungen. Cédric Kahn erklärte auch kurz überlegt zu haben, statt einem Spielfilm einen Dokumentarfilm zu drehen. Eine verworfene Option, die dem Film viel besser getan hätte. Anthony Bajon und Damien Chapelle liefern zwar hervorragende Darstellungen ab, der Film selber kann diese aber nur begrenzt verwerten, da er sich zu viel vornimmt.

    Kahn will nicht nur die Geschichte von Thomas erzählen, er will die ganze Einrichtung porträtieren, die Hintergründe ihrer Bewohner und den strengen Alltag, der die jungen Männer (und im Nebencamp auch Frauen) von ihren Süchten wegführen soll. Dadurch pausiert die Geschichte immer wieder um Platz zu machen für elaborierende Szenen in denen gesungen und gearbeitet wird oder irrelevante Nebencharaktere viel Raum bekommen ihren Weg zu und weg von den Drogen zu erzählen. Hier wäre eine dokumentarische Erzählweise die bessere Wahl gewesen, da diese den Raum gibt auszuholen und weniger verpflichtet ist, einer Handlung präzise wie durch ein dünnes Nadelöhr zu folgen.

    Letztendlich stellt der Film den Zuschauer aber vor die Frage, ob hier der berührende Weg eines „verlorenen Sohns“ zurück in die Gesellschaft gezeigt wird oder die Figuren eine Droge durch eine andere ersetzen. Religion statt Heroin, Beten statt Spritzen. Ein gutes Beispiel dafür ist Pierre, der in der Welt außerhalb der Alpen Frau und Sohn hat. Seit Jahren sitzt er in dem Camp fest, schafft es einfach nicht die Gemeinschaft zu verlassen, da er sich zu schwach fühlt der Versuchung draußen zu widerstehen. Die ungeschnittenen minutenlangen Gottesanbetungen und Gesänge geben dem Setting auch zumeist eine sektenhafte Stimmung, was nicht immer zugunsten des Films funktioniert.

    Ob Thomas aber wirklich zum Gläubigen wird, bleibt bis zum Schluss dahingestellt. Er findet zwar Frieden im Gebet und fühlt sich als Zeuge eines Wunders, die materielle Welt lässt ihn aber nie ganz los. Fakt ist jedoch, ob mit Gott oder ohne, dass der Zuschauer bis zum Schluss hofft, dass Thomas seine Sucht überwinden kann.
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    01.04.2018
    16:54 Uhr