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    Goldene Käfige in Paraguay

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    Aus einem Gefängnis auszubrechen muss nicht immer ein Coup sein, den eine Bande wagemutiger Männer vollzieht. Es kann auch das eigene Heim sein, die Gesellschaft in der man lebt und der Ausbrecher kann auch eine verschlossene unsichere Frau sein. Das ist zumindest die Geschichte, die Marcelo Martinessi in seinem Film „Las Herederas“, auf Deutsch „Die Erbinnen“ erzählt.

    Chela ist eine Dame der Oberschicht im mittleren Alter und vom Beruf her Erbin. Ihre dominante Lebensgefährtin Chiquita ist schwer verschuldet und die beiden müssen daher ihr Einrichtungsinventar verkaufen. Eines Tages wird Chiquita per Brief eröffnet, wegen angeblichen Betrugs eine Haftstrafe absitzen zu müssen. Chela bleibt allein mit Hausmädchen Pati zurück. Zuerst versucht die schwermütige Malerin noch zwanghaft, den gewohnten Tagesrhythmus beizubehalten. Doch als ihre Nachbarin sie um einen Chauffeurdienst bittet, wird aus dem einmaligen Gefallen ein regelmäßiges Engagement als Ersatz-Taxidienst für die einsamen Frauen der Oberschicht. Und dann lernt Chela auch noch die jüngere lebenslustige Angy kennen. Eine neugefundene Freiheit, in der sie fernab von Chiquita zunehmend aufgeht.

    „Las Herederas“ ist ein Werk, das den Titel „Frauenfilm“ verdient wie wenige andere Filme sonst. Der Cast besteht nur aus weiblichen Darstellern. Männer werden nur verbal erwähnt oder sind als Hintergrundfiguren zu sehen. Martinessi erklärte in Berlin, er wolle mit dieser Geschichte die Rolle der Frau in seinem Heimatland thematisieren. Die Geschichte Paraguays ist eine Geschichte der Männer, in der Frauen nur als Objekt vorkommen. Dementsprechend werden ihre Häuser zu goldenen Käfigen und Chelas Taxidienst ein sicheres Refugium, mit dem sie sich in die Öffentlichkeit trauen und für das sie gutes Geld bezahlen.

    Chiquita ist somit nicht die einzige, die in einem Gefängnis festsitzt. Chela sucht zunehmend ihre persönliche Freiheit. Das gestaltet sich aber schwer als gedacht. Immer wieder überwältigt vom Ungewohnten zieht sie sich in ihre vier Wände zurück, nur um kurz darauf wieder die Nähe der Frauen und vor allem Angys zu suchen. Aber diese haben in einer Welt gezeichnet von einem Staatsstreich gegen die Regierung und der Herrschaft von Korruption ebenfalls mit sich selbst zu kämpfen. Diese patriarchale Weltordnung spiegelt sich in den dunklen Tönen der Bilder wieder. Für die Frauen gibt es in ihrem Umfeld wenig Freude.

    Was dem Film letztendlich aber nicht geschadet hätte, wäre ein flotteres Tempo in der Inszenierung. Der Regisseur gibt der sympathischen Newcomerin Ana Brun als Chela viel Raum, ihren Emotionen durch Gesichtsausdrücke und Blicke Ausdruck zu verleihen. Dennoch verweilt er zu oft und lange in den Nahen und fasziniert sich zu sehr für nebensächliche Aktivitäten der Figuren.

    Sie habe ähnliches wie ihre Figur in ihrer Vergangenheit erlebt, erklärte Ana Brun auf der Pressekonferenz. Mehr wollte sie dazu nicht sagen. Der Film mag die Zustände in Paraguay zwar nicht verändern, ist für das Land und den paraguayischen Film aber ein wichtiges Sprachrohr mit dem Rest der Welt.
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    16.02.2018
    23:50 Uhr