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    Im System der Hilflosigkeit

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    Der Film sei eigentlich schon vor der #metoo Debatte entstanden. Wenn er nun etwas dazu beitragen könne, sei das aber eine gute Sache, so Regisseur Steven Soderbergh über seinen Thriller „Unsane“. Im Zentrum steht eine junge Frau, die sich unter anderem gegen einen übergriffigen Mann wehren muss. In der Tat ein interessantes Timing für einen Film, der zwar oft verlangt, dass man sämtliche Logik über Bord wirft, aber danach auch ganz gut zu unterhalten weiß.

    Sawyer Valentini (Claire Foy) ist von Boston nach Pennsylvania gezogen, wo sie in einer neuen Stadt als Datenanalystin für eine Bank anfängt. Grund ihres Umzugs ist die Flucht vor ihrem Stalker David Strine (Joshua Leonard), gegen den sie ein Kontaktverbot erwirkt hat. Als sie immer wieder von Panikattacken ihren Stalker zu erkennen heimgesucht wird, besucht sie eine Psychiaterin in der Highland-Creek-Klinik für Verhaltenstherapie. Nach der beiläufigen Erwähnung, schon einmal an Suizid gedacht zu haben, hält die Klinik sie für 24 Stunden fest. Auch ihre extra angereiste Mutter kann legal nichts ausrichten, Sawyer bleibt in Observation. In der Klinik freundet sie sich mit Drogenjunkie Nate (Jay Pharoah) an, der ihr erklärt, dass die Klinik sie finanziell ausnutze und glaubt schließlich, Strine in einem der Pfleger zu erkennen. Niemand will ihr jedoch glauben und ihr wiederholtes Ausrasten vor Panik beginnt ihren Aufenthalt nur zu verlängern.

    Soderbergh widmet sich nach „Sex, Lügen und Video“ und „Traffic“ erneut gesellschaftlichen Problemen. Diesmal stehen der Krankenversicherungsmissbrauch durch Gesundheitszentren im Fokus. Drehbuchautor Jonathan Bernstein sei ähnliches passiert als er bei einer psychologischen Untersuchung darauf hingewiesen wurde, dass er aufgrund seiner Kommentare über Suizid eingewiesen werden könne. Auch sei er im Zuge seiner Recherchen auf mehrere Artikel gestoßen, wie diese Institutionen aufgrund der Notwendigkeit eines finanziellen Profits Patienten einweisen und ausnutzen.

    Doch nicht nur der Missbrauch des Systems lassen Protagonistin Sawyer und den Zuschauer sich hilflos fühlen. Verstärkt wird das ganze noch durch die Unfähigkeit und Behäbigkeit der Behörden, bis schließlich schon Feuer unterm Dach ist, sowie der Verzweiflung einer Frau, ihren Peiniger zu erkennen und sich der Tatsache stellen zu müssen, dass niemand ihr glaubt und helfen will. Dass dieser George Shaw eigentlich David Strine ist wird ziemlich schnell klar. Wenn man auch über das Logikloch hinwegblicken kann, dass dieser Mann sich zu richtigen Zeit am richtigen Ort eine neue Identität verschafft hat, so stört doch insgesamt sein stereotypenhaftes Äußeres. 70-er Jahre Brille, Weirdo-Bart, ausgewachsener Haarschnitt, leicht übergewichtig und etwas ungeschickt gekleidet. Der „Mit dem Typen stimmt doch etwas nicht“-Vibe ist stark in ihm. Sawyer muss schließlich ihre innere Kraft bündeln und die Dinge selbst in die Hand nehmen.

    Gefilmt wurde der Film übrigens komplett mit iPhones. Eine technische Herausforderung aber auch eine Offenbarung, wie Soderbergh gesteht. Zwar konnte Kameramann Peter Andrews innerhalb weniger Sekunden seine Linse überall platzieren, die Crew musste aber auch lernen mit der ständigen Vibration an dem leichten Gerät umzugehen und die ständige Tiefenschärfe der Linse bewusst einzusetzen.

    Insgesamt ist der Film ein unterhaltsamer und beklemmender Ritt durch ein System, das das Individuum eigentlich beschützen sollte, aber spektakulär aufgrund von Eigeninteressen scheitert. Eine Komplexität und Vielschichtigkeit à la „Sex, Lügen und Video“ sollte man sich von dem Film aber nicht erwarten, dafür ist er zu actionreich geladen und zu weit hergeholt im Plotaufbau. Abschließend kann man noch sagen, sollte sich irgendwer Sorgen machen, dass „The Crown“-Darling Claire Foy als neue Lisbeth Salander ungeeignet sei, der sei mit diesem Film eines Besseren belehrt.
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    05.03.2018
    14:15 Uhr