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    Big Brother is watching you

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Ruth Maders Science-Fiction-Film „Life Guidance“ hat bereits eine lange Festivalreise hinter sich, war er doch schon unter anderem in Venedig, London und Chicago zu sehen. Jetzt ist der Film auch im Programm der Diagonale gelandet.

    „Life Guidance“ spielt im Wien der nahen Zukunft. Dort herrscht eine optimierte Gesellschaft bestehend aus funktionstüchtigen, zufriedenen Leistungsträgern der Mittelschicht mit liebevollen Familien. Wer nicht passt, wird passend gemacht. Dafür sorgt die ausgelagerte, titelgebende Agentur Life Guidance, die zweifelnde Bürger wieder auf den rechten Weg führen soll. Lassen sie sich nicht nahtlos in das herrschende System eingliedern, kommen sie in die Schlafburg. Fritz Karl spielt Alexander, der seinen Platz in dieser optimierten Gesellschaft längst gefunden hat. Er arbeitet im Finanzsektor und hat eine Bilderbuch-Familie. Jedoch ist ihm klar, zu welchem Preis: die Aufgabe jeglicher Freiheit für absolute Transparenz. Nur so kann dieses System funktionieren. Und Alexander hinterfragt es - ein Fehler, denn bereits am nächsten Tag klopft ein Vertreter der Life Guidance an seiner Tür.

    Ruth Mader entwirft eine unheimliche Zukunft. Das unheimlichste dabei ist, dass diese Zukunft durchaus denkbar ist. Die optimale Gesellschaft klingt wie eine Utopie. Wird die Optimierung der Gesellschaft allerdings staatlich vorgeschrieben, wird sie schnell zur Dystopie. Schon in der ersten Szene kommt einem das Schaudern, als ein Chor aus süßen Kindern ein Lied über Selbstoptimierung vorsingt. Die Welt von „Life Guidance“ ist eine der totalen Überwachung, auch in den eigenen vier Wänden. Der Nachbar hat das Recht, alles über einen zu wissen – vom Staat ganz zu schweigen. Sogar das Navigationssystem merkt, wenn man die Autospur wechselt. Die Art auf die Life Guidance agiert, ist ebenfalls wirkungsvoll inszeniert. Die Agentur arbeitet mit Druck, stellt ein weiteres paar Augen bereit, das einem zeigen soll, dass man unter ständiger Beobachtung steht und löst einen regelrechten Verfolgungswahn aus. Es kommt nicht als Überraschung, dass Mader George Orwells Roman „1984“ als inhaltliches Vorbild für den Film nennt.

    Stilistisch hat sie sich laut eigenen Angaben von Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ inspirieren lassen. Das merkt man vor allem an ihren dystopischen, sterilen Bildern. Eben diese Bilder transportieren auch den Inhalt des Films, denn für Mader ist Film in erster Linie ein bildliches Medium. Entsprechend wortkarg fallen die Dialoge des Films aus. In der zweiten Hälfte wird kaum noch geredet. Für meinen Geschmack wird allerdings zu wenig geredet. „Life Guidance“ kommt zwar ganz gut ohne viele Worte aus, es erfordert aber durchaus manchmal Mühe, die Stille nicht mit eigenen Gedanken zu füllen und abzuschweifen.

    Alles in allem funktioniert „Life Guidance“ aber als dystopische Zukunftsvision sehr gut. Wirkungsvolle Bildsprache macht den Film zu einem ästhetischen Vergnügen, regt aber auch zum Nachdenken an. Denn die Ideologien, die den Film so unangenehm machen, sind schon längst in unserer Gesellschaft verankert.
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    17.03.2018
    22:11 Uhr