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8 Bewertungen
80.6% Bewertung
  • Bewertung

    Sentimentales, aber berührendes Drama der Ausweglosigkeit

    Bei aller Freiheit und Demokratie, bei allem Hochhalten der Menschenrechte und der Selbstverwirklichung in den USA gibt es dort gleichzeitig eine starke konservative christliche Strömung, die bis dato nicht mit Homosexualität umgehen kann oder will. Nicht nur die Evangelikalen sind hier ein Teil davon, auch unter der katholischen Bevölkerung gibt es viele, die aus verschiedenen Gründen ein Problem damit haben, dass nicht jeder Mensch als heterosexuelle Person geboren wird und später dann auch so lebt. Eigene Unsicherheit, Angst, zu eng gefasste moralische Vorstellungen spielen hier eine ebenso starke Rolle wie persönliche sexuelle Verklemmtheit oder bei sich selbst unterdrückte homosexuelle Gefühle und Gedanken oder Neid denen gegenüber, die sich trauen, dazu zu stehen , wie sie eben sind.

    In diesem Film wird die Lebensgeschichte eines jungen Mannes (Lucas Hedges) erzählt, dessen Vater (Russel Crowe, ein evangelikaler Pastor) fest davon überzeugt ist, dass man Homosexualität "heilen" bzw. "umdrehen" kann. Seine Mutter (Nicole Kidman) hat Mitleid mit ihrem Sohn und hält es lange für das Beste, bekommt dann aber bald ihre Zweifel.

    Über weite Strecken bedient der Film bekannte Stereotypen zum Thema Religion, Evangelikalismus, Intoleranz und Fundamentalismus. Auch mit tiefen Emotionen wird nicht gespart, sodass er sehr oft weniger mit besonders guten Dialogen oder einfallsreichen Wendungen überzeugt, als mit seiner Sentimentalität zu Herzen geht. Wer selbst Kinder hat, leidet doppelt mit. Trotzdem hat mich der Film - vielleicht gerade als Vater - sehr berührt und gezeigt, wie oft es im Leben wichtig ist, selber einen Schritt hinter die eigenen Überzeugungen zu gehen - aus Respekt oder "einfach" aus Liebe.
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    19.02.2023
    10:00 Uhr
  • Bewertung

    Der verlorene Sohn

    Ihm ist anerzogen und er soll glauben, dass Homosexualität Sünde, Unnatur und Schmutz sei, dennoch hat er immer „an Männer gedacht“ und mit dem Mädchen, das ihn wollte, Schluss gemacht. Der Prediger-Vater will den Sohn retten und gibt ihn in eine jener Anstalten, die jungen Menschen dergleichen aberziehen, sie reinigen und bekehren. (Man staunt: es gibt solche in 36 Staaten der USA und Ableger davon in Europa.) Die Methoden sind schlechthin Psychoterror, totale Überwachung und Gehirnwäsche - denn dort weiß man, was Gott will, der uns liebt und strafen wird.
    Der bewundernswert glaubhaft dargestellte junge Mann (Lucas Hedges) macht aber das „Spiel“ nicht mit, um herauszukommen, wie ihm ein Leidensgenosse empfiehlt, er zerbricht nicht an den eigentlich hassbestimmten Methoden, wie ein anderer – er ist ehrlich und stark genug, an seine inzwischen sichere, eigene Wahrheit zu glauben. Tatsächlich sagt ihm draußen Einer, der ihn zu sich einlädt, ohne dass etwas „geschehen“ müsse, er glaube eher an Gott „in uns allen“ - als an ein vor 2000 Jahren geschaffenes Gottesbild.
    Es wird zuletzt eng, aber zu allerletzt ist er nicht verloren, sondern hat sich selbst gefunden. Und weil er nicht Hass, sondern Liebe will, gelingt ihm ein versöhnliches Ende der Geschichte.
    Die hat übrigens Einer geschrieben, wie er sie erlebte, und davon ist (Joel Edgerton) ein streckenweise unglaublich bedrückender, doch zuletzt befreiender Film ohne falsche Töne gelungen.
    14.03.2019
    07:49 Uhr
  • Bewertung

    Der verlorene Sohn, der sich selbst findet

    Exklusiv für Uncut vom Toronto Film Festival
    Regisseur und Schauspieler Joe Edgerton hat mit „Boy Erased“ eines der großen Dramen des Jahres gemacht und nicht zufällig kurz vor dem Startschuss diverser Preisverleihungen veröffentlicht. Die Adaption von Garrard Conleys gleichnamigen Memoiren handelt von einem jungen Mann, der nachdem er ungewollt vor seinen Eltern als schwul geoutet wird, in eine fragwürdige und religiös inspirierte Reparativtherapie geschickt wird. Das Drama war in zwei Kategorien der Golden Globes nominiert – für den besten Hauptdarsteller und für „Revelation“ als bester Song in einem Film.

    Lucas Hedges, der mit 20 Jahren bereits für seine Rolle in „Manchester by the Sea“ für einen Oscar nominiert war, taucht seitdem immer wieder in Besetzungslisten preisgekrönter Filme auf. Letztes Jahr brillierte er in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ und „Lady Bird“ in Nebenrollen. Dieses Jahr zieht er mit seiner Performance in „Boy Erased“ viel Aufmerksamkeit auf sich. Zurecht – denn die Rolle des unterdrückt schwulen Sohnes eines Predigers scheint ihm wie auf den Leib geschrieben zu sein. Lucas Hedges, den man in seinen Rollen selten lachen sieht, trägt auch als verlorener Sohn stets eine ernste Miene, die aber gut darin ist, sowohl Verletzlichkeit und Unsicherheit als auch Stärke und Mut durchschimmern zu lassen.

    Ebenfalls sehr erwähnenswert sind die Performances von Nicole Kidman und Russell Crowe. Sie spielen Jareds Eltern, einen Prediger und eine Friseurin. Kidman spielt eine für sie ungewöhnliche Rolle. Anstatt der starken Frau als die man sie sonst so kennt, spielt sie eine sehr einfach gestrickte, gläubige Ehefrau, die zu allem Ja und Amen sagt, was ihr Mann vorschreibt. Außer der Wahl ihres eigenen Haar-Stylings trifft diese Frau scheinbar nicht besonders viele Entscheidungen selbst. Doch die Prinzipien ihres Mannes und das Leid ihres Sohnes stellen sie vor die Herausforderung, selbst Stellung zu beziehen. Obwohl sie nicht wirklich weiß, was sie von der Homosexualität ihres Sohnes halten soll, scheint ihr Mutterinstinkt trotzdem allgegenwärtig. Nicole Kidman schafft es, trotz ihrer fragwürdigen Outfits, dennoch nicht lächerlich zu wirken und ihren inneren Zwiespalt mit Ernst rüberzubringen.

    In Nebenrollen sieht man vor allem bekannte Gesichter aus der queeren Künstlerszene. Regisseur Xavier Dolan und der Popstar Troye Sivan, beide öffentlich schwul, spielen weitere Teilnehmer des Programms, das Schwule wieder zu Heterosexuellen machen soll. Troye Sivan ist übrigens auch als Performer von „Revelation“ im Soundtrack zu hören.

    Joe Edgerton (der übrigens auch selbst als Leiter der Therapie im Film zu sehen ist) ist mit „Boy Erased“ ein schockierendes und bewegendes Drama gelungen, dass allerdings seine Emotionen etwas unterdrückt, so wie es auch von seinem Protagonisten verlangt wird. Edgerton wirft einen kritisches Blick auf die Kirche und ihre absurden Methoden, Homosexualität zu heilen und stellt diese einer einfachen Mutter gegenüber, die nicht anders kann als bedingungslos zu lieben. Alles in allem sehenswert, nicht nur wegen der tollen SchauspielerInnen!
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    09.01.2019
    07:59 Uhr