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    Der Suchende

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    David Thomson, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Filmpublizistik, bezeichnet Cary Grant in seinem Magnum Opus „The Biographical Dictionary of Film“ als den besten und wichtigsten Schauspieler der Filmgeschichte, weil er sowohl attraktiv als auch unattraktiv sein konnte, sich der Kamera ohne Verfälschung, Verstellung oder Übertreibung auslieferte und ein so komplettes technisches Können vorlegte, dass das Schauspiel kaum bemerkbar war.

    Thomson ist auch einer der Experten, die in Mark Kidels Dokumentarfilm „Becoming Cary Grant“ auftreten. Der Film setzt einen gewissen Trend der letzten Jahre fort. Ähnlich wie zum Beispiel „Listen To Me Marlon“ (Stevan Riley, 2015), „Ingrid Bergman: In Her Own Words“ (Stig Björkman, 2015) oder „Eat That Question: Frank Zappa In His Own Words“ (Thorsten Schütte, 2016) ist es erneut ein sehr persönlicher Film, basierend auf den Gedanken des Protagonisten.

    Um zu erzählen wie aus Archibald Alexander Leach sukzessive Cary Grant wurde und wie sich im Nachhinein seine Karriere und sein Privatleben entwickelten, verwendet Kidel vor allem zwei Elemente. Zum einen Grants private 16mm-Filmaufnahmen, deren häufigste Motive die Frauen in seinem Leben sowie Schiffe und Häfen sind. Und zum anderen etwas noch weitaus emotionelleres: seine eigenen Aufzeichnungen, die im Rahmen von Psychotherapiesitzungen unter Verwendung von LSD enstanden sind. Die halluzinogene Droge, die damals noch als übliches Medikament verabreicht wurde, ermöglichte Grant in seinen 50ern endlich seine Dämonen zu bekämpfen. Vor allem den frühen Verlust seiner Mutter, die ein Opfer der gesellschaftlichen Gegebenheiten wurde und erst Jahrzehnte später wieder auftauchen sollte. Und seine Flucht nach Vorn, die ihn für eine gesunde Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit wahrscheinlich zu schnell von einer Zirkustruppe nach Hollywood führte.

    Beides ermöglicht einen einzigartigen Einblick in das Private und das Unterbewusstsein eines Hollywood-Stars. Im Rhythmus dieser Medien wird in Flashbacks sein Leben erläutert, wobei die Wirkung der einzelnen Passagen gekonnt auch mit Hilfe von passenden Filmausschnitten (nicht nur der bekanntesten aus Werken von Howard Hawks oder Alfred Hitchcock) und Archivfotos bestärkt wird. Der eher melancholische Charakter des Films wird nicht zuletzt auch durch die spärlich gehaltenen Auftritte externer Kommentatoren wie Thomson, aber vor allem Grants fünfter und letzter Ehefrau Barbara Jaynes und der gemeinsamen Tochter Jennifer Grant, weiter unterstrichen.

    Auf die Anmerkung eines Journalisten, dass jeder gerne so sein würde wie Cary Grant, antwortete Cary Grant mal angeblich: „Ja, ich auch.“ Es hat lange gedauert bis er sich mit der Kunstfigur arrangierte, die er verkörperte. Und noch länger bis der mit Vorliebe zurückgezogene, vielleicht auch depressive Schauspieler zumindest teilweise seinen inneren Frieden fand. Im Jahr 1966 beendete er seine Karriere, im selben Jahr wurde er auch zum ersten Mal Vater. Vier Jahre später erhielt er seinen einzigen Oscar, für sein Lebenswerk. Cary Grant starb 1986 im Alter von 82 Jahren.
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    25.10.2017
    12:27 Uhr