Forum zu 78/52

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87.5% Bewertung
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    Ein Staccato für die Filmgeschichte

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Einen Film zu drehen, ist schon an und für sich ein verrücktes Unterfangen. Man betrachte bloß die Kosten und die oft mangelhafte Resonanz des Publikums. Wer einen Dokumentarfilm macht, hat es noch viel schwieriger. Umso mehr wenn das Thema Kunst ist. Alexandre O. Philippe, der sich in seinen Werken vorwiegend mit popkulturellen Themen befasst, ist demnach in der Hinsicht gewissermaßen ein Masochist. Er hat keinen Film über das Oeuvre eines bestimmten Filmemachers gemacht, er behandelte auch keinen bestimmten Film. Er widmete einen ganzen Film einer einzigen Filmszene.

    Die gut 3 Minuten, die er in seinem Dokumentarfilm „78/52“ porträtiert, zeigen den Mord an Marion Crane. Wer jetzt schon weiß, dass die Rede von Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960) ist, wird diesen Film lieben. Es ist das Werk eines Filmliebhabers für Gleichgesinnte mit obsessiver Lust am Entdecken mehr oder weniger obskurer Filmdetails. Oder in den Worten des Regisseurs selbst: es ist die Arbeit eines Strebers.

    Wobei im Endeffekt natürlich nicht der ganze Film nur die 3 Minuten behandelt. Bevor er sich in die Analyse dieser Szene begibt, bietet Philippe in der ersten Hälfte eine veritable Einführungsvorlesung zu Hitchcocks Arbeitsweise, Leitmotiven und Einfluss. Er beginnt mit einer doppelbödigen Nachstellung, stöbert in Archiven herum und befragt Experten. Infolgedessen erläutern zum Beispiel Filmhistoriker die Produktionsgeschichte des Films, Kunsthistoriker die Bedeutung der Gemälde im Bates Motel, Tontechniker die genaue Melonenvariante, die für die Messerstichgeräusche verwendet wurde usw. Schlussendlich lädt Philippe eine illustre Schar an Filmemachern ein sich mit ihm noch einmal die Duschszene anzuschauen. Der Regisseur spielt hier den Voyeurismus, der auch in „Psycho“ eine wichtige Rolle hat, genüsslich aus, indem er seine Gäste in ein Motel setzt, so dass wir sie beobachten können wie sie sich den Film anschauen, darüber hinaus auf einem Fernseher, der stark an einen Türspion erinnert. Dabei wird penibel genau jede Sekunde dieser Szene analysiert, vor allem die 78 Einstellungen in 52 Sekunden des eigentlichen Mordes, worauf sich auch der Titel bezieht.

    Dieser Dokumentarfilm versprüht eine regelrechte Liebe zu seinem Gegenstand. Nicht nur wegen der oben bereits erwähnten Details. Auch weil er den Storyboard-Artist (und Titeldesigner) Saul Bass sowie den Filmmusikkomponisten Bernard Hermann verdientermaßen auf ein Piedestal stellt. Auch weil er fast den gesamten, mehr als 6 Minuten langen originalen Trailer für Psycho integriert, einen Geniestreich Hitchcocks. Und nicht zuletzt auch weil er eine Frau vor die Kamera holt, die schon längst tot geglaubt war.

    Hitchcocks „Psycho“ ist heuer 57 Jahre alt. Wer ihn sich dennoch noch nicht angeschaut hat, soll sich auch „78/52“ bitte nicht anschauen, denn der Dokumentarfilm beinhaltet alle möglichen Spoiler. Gleichermaßen gilt aber das umgekehrte. Wer glaubt „Psycho“ und/oder Hitchcock allgemein zu kennen, muss sich von Philippes Arbeit berauschen lassen. Jeder wird darin etwas Neues finden. Und nebenbei auch einen gleichgesinnten cinephilen Komplizen.
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    24.10.2017
    09:39 Uhr