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    Gut gemeinter Zeitkommentar

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „La Telenovela Errante“ ist ein Film, über den man nicht allzu viel schreiben kann ohne vom Hundertste ins Tausendste zu gehen. Zu überbordend ist das inhaltliche Geschehen, von einer Handlung im engeren Sinn ist nicht zu reden, um es anhand weniger Maßstäbe allumfassend zusammenzufassen.

    Die Entstehungsgeschichte des Films ist ein Schauspielworkshop, den Ruíz in seiner Heimat Chile im Jahr 1990 abhielt. Der Film wurde jedoch nie fertig gestellt, 2011 verstarb Ruíz. Erst seine Frau, die Cutterin Valeria Sarmiento nahm sich 27 Jahre später der Materie wieder an und stellte ihn fertig.

    Der Film ist schematisch in sieben Tage, die sieben Tage filmen äquivalent sein sollen, unterteilt. Die Sequenzen unterscheiden sich zwar inhaltlich, verknüpfen aber Thematiken, mit denen sich Chile zu jener Zeit konfrontiert war. Angst vor einem Bürgerkrieg oder die Rolle der Sozialisten und der Katholiken. Auch tauchen dieselben Darsteller immer wieder in multiplen Sequenzen auf.

    Die Stärke und zugleich Schwäche des Films ist seine Absurdität, mit denen er die Gesellschaft porträtiert. Ruíz konnte es Zeit seines Lebens noch am besten erklären was er sich mit dem Film gedacht hatte als er sagte: „Der Film dreht sich um das Konzept der Seifenoper. Seine Anlage basiert auf der Annahme, dass die chilenische Realität nicht existiert, sondern vielmehr den Gesamteindruck von Seifenopern macht. (…) Die ganze chilenische Realität wird aus der Seifenopernsicht beleuchtet, die durch diesen Filter betrachtet gleichsam entlarvt wird.“

    Das macht der Film besonders zu Beginn gut. Seine stärkste Sequenz ist Tag 1, an dem ein Mann und eine Frau über ihre außereheliche Beziehung reden. Der Dialog schwenkt von der abstrusen Diskussion, dass er ihr linkes Bein lieber hat, hinüber in die Feststellung, dass er alles linke mag, da er Sozialist ist. Er fragt sie, was sie von Scheidungen haltet, da sie seinen Bruder verlassen müsse um mit ihm zu sein.

    Die andere hervorzuhebende Sequenz ist der dritte Tag, in dem zwei Männer in einem Auto darüber unterhalten, wie verschiedene Dialekte des Spanischen in Lateinamerika klingen. Als sie anhalten um einen Job zu erledigen, werden sie aus dem Off erschossen. Diese bedrohlich wirkende Situation verwandelt sich jedoch in eine witzige Anhäufung von Attentätern, die eigentlich alle eine Nachricht hinterlassen wollen und der Reihe nach von der nächsten Guerillagruppe erschossen werden. Das Ganze wirkt wie eine Farce, ein pointierter Kommentar zu Guerillakämpfen in Südamerika.

    Die restlichen Episoden beginnen ähnlich in einer nachvollziehbaren Gegenwart, treiben aber so sehr ins Surreale ab, in die fast düster wirkenden Gedankengänge einer Seifenoper einer Spiegelgesellschaft, dass man als Zuschauer zunehmend den Faden und den Bezug verliert. Man muss die visuellen Akzente, die Ruíz setzt, zwar durchaus zu würdigen wissen, wie er mit Licht und Kamerwinkeln arbeitet, steigt aber inhaltlich mit den fortschreitenden Filmminuten aus. Es wird eine Serie in einer Serie, eine Telenovela im Film. Aber leider zu wenig selbstreferenziell, um wirklich noch unterhalten und aufklären zu können.
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    27.10.2017
    11:29 Uhr