1 Eintrag
1 Bewertung
60% Bewertung
  • Bewertung

    Geliebte kommen und gehen, sowie die Liebe selbst

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „L’amant d’un jour“ bedeutet übersetzt so viel wie ein Liebhaber für einen Tag und begleitet einen kurzen Lebensabschnitt der jungen Erwachsenen Jeanne (Ester Garrel), ihrem Vater Gilles (Eric Caravaca), und seiner Freundin, in dem Liebe, Eifersucht und Herzschmerz dominieren. Doch anders als man vielleicht annehmen würde, fokussiert sich der neue Film von Regisseur Philippe Garrel weniger auf die Liebesbeziehungen an sich, sondern vielmehr auf die Tochter-Vater-Bindung und auf die unerwartete Freundschaft zwischen Jeanne und der Geliebten ihres Vaters.

    Jeder Mensch hat seine individuelle Art mit Liebeskummer umzugehen. Die einen stürzen sich in die Arbeit, entdecken neue Hobbys oder versinken einfach nur im tiefsten Selbstmitleid. Aber letzten Endes haben sie fast alle eines gemeinsam: Das Leben geht weiter und der Schmerz lässt mit der Zeit nach – so abgedroschen das auch klingen mag. Die junge Jeanne, die erst frisch von ihrer großen Liebe Matéo (Paul Toucang) verlassen wurde, bedient sich der letzteren Methode und droht im Meer ihrer Tränen zu versinken. Verletzt und alleingelassen zieht sie deshalb zurück zu ihrem Vater Gilles, wo sie überraschend auf seine neue Freundin trifft. Gilles ist Philosophieprofessor, seine Freundin Ariane (Louise Chevillotte) eine ehemalige Studentin aus einem seiner Kurse und ist somit in etwa im selben Alter wie Jeanne. Doch anstatt das Konfliktpotential auszuschöpfen, werden die beiden jungen Frauen zu Freundinnen, die durch Geheimnisse miteinander verbunden sind und sich gegenseitig trösten und stärken. Konkurrenzdenken und das Buhlen um Gilles Aufmerksamkeit schwingen allerdings trotzdem immer ein wenig mit, was durch den kleinen Raum auf dem die drei zusammenwohnen, begünstigt wird.

    Der Regisseur des Films, Philippe Garrel arbeitet in „L’amant d’un jour“ wieder einmal mit einem nahestehenden Familienmitglied zusammen, was wenn man sich seine Familiengeschichte anschaut, in der fast alle noch lebenden Mitglieder in der Filmbranche tätig sind, nicht wirklich verwunderlich ist. Seine Tochter Ester Garrel spielt die Rolle der unter Liebeskummer leidenden Jeanne auch ohne Familienbonus mit Bravour und Einfühlsamkeit. Seit einigen Jahren ist sie nun schon eine etablierte französische Schauspielerin, die auch in ausländischen Produktionen wie in Nathan Silvers „Thirst Street“, der ebenfalls bei der Viennale zu sehen war, in einer Nebenrolle ihre Schauspielkunst unter Beweis stellen konnte.

    Obwohl die Story des Films sehr simpel ist, werden manche Erwartungshaltungen unterlaufen, wie beispielsweise die Beziehung zwischen Adriane und Jeanne. Zudem wird das Geschehen von einer außenstehenden, weiblichen Voice-Over Stimme kommentiert und prophezeit, was zu Beginn sehr befremdlich wirkt, weil man diese Stimme weder Situationen noch einer Person zuordnen kann. Häufig bekommt die Erzählstimme im Verlauf eines Liebesfilmes ein Gesicht oder ist die Protagonistin selbst als Ich-Erzählerin, es sei denn sie hat einen audioästhetischen Mehrwert oder unterstreicht den Fairy-Tail-Charakter eines Films. Doch da „L’amant d’un jour“ so nah an der Realität spielt und fast jeder der Zuschauerinnen und Zuschauer bereits selbst vergleichbare Situationen erlebt haben, neigt man dazu Spekulationen über die Unbekannte aus dem Off aufzustellen. Ist es vielleicht Jeannes abwesende Mutter, die aus der Ferne eine spirituelle Verbindung zu der Dreiecksbeziehung aufnimmt? Das gilt es nicht zu beantworten, denn diese besondere Erzählweise des Films ist wohl den Einflüssen der Nouvelle Vague zuzuschreiben, welche Philippe Garrels Schaffen sowieso seit seinem Berufseinstieg inmitten der 1960er Jahre nachhaltig extrem geprägt hat.

    Auf diese Weise kreiert Philippe Garrel einen emotionalen Film, der mit einer besonderen Erzählweise in schwach kontrastiertem Schwarzweiß auf der Leinwand erstrahlt und von ihren sinnlichen Schauspielern getragen wird.
    littlesusanshine_c51e293590.jpg
    05.11.2017
    10:06 Uhr