1 Eintrag
1 Bewertung
75% Bewertung
  • Bewertung

    The Experimental Tropic Blues Band

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    „Spit'n'Split“ ist eine belgische Road-Trip-Mockumentary über das Tourleben der (tatsächlich existierenden) Musikgruppe „Experimental Tropic Blues Band“, die ihre Premiere im Rahmen des /slash Filmfestival am 30. 09. 2017 im Wiener Filmcasino feierte. Im Rahmen meiner Recherche kam ich bereits etwas früher an dieser Location an und konnte in der noch spärlich besuchten Lobby den nach John Waters 1972 erschienen Film „Flamingos“ grandios designten Hintergrund bestaunen (Sofort bereute ich es, an dem ihm gewidmeten Festival Tag keine Zeit gehabt zu haben). Doch die Lobby begann sich schon bald zu füllen, als Menschen mit enttäuschten Blicken (Zombiology: Enjoy Yourself Tonight) aus dem Kinosaal strömten. Davon ließ ich mir aber nicht meine Vorfreude für „Spit'n'Split“ nehmen. Vielmehr bereitete es mir Sorgen, ob ich in der absoluten Schwärze des Kinosaals lesbare Notizen fabrizieren konnte (Spoiler: es klappte prächtig). Meine Sitzwahl fiel auf einen mittigen Bereich der mir genügend Beinfreiheit gab. So war nun alles für meinen späten Festivalauftakt vorbereitet.

    Der Film erfolgte im Beisein des charmanten belgischen Regisseurs Jérôme Vandewattyne, der vorab seinen Film kurz vorstellte und nach der Vorführung noch für ein Q&A bereit stand. Bevor „Spit'n'Split“ letztendlich startete, wurde noch sein 15-minütiger Vorgänger Film „Slutterball“ (2013) gezeigt, den er zu Ehren seines Idols John Waters drehte. Der Film handelt von einer Gruppe verschiedenster Charaktere die sich auf der Jagd nach einem pädophilen Straftäter befinden. Dies wurde vom Publikum mit Applaus bedacht und heizte die Stimmung für den Hauptfilm an.

    „Spit'n'Split“ umfasst das kreativ geschnittene und inszenierte Material über die dunkelsten, lustigsten, intimsten sowie kuriosesten Momente der Band. Diese werden nur von privaten Interviews sowie atemberaubenden Naturaufnahmen unterbrochen. Große Teile des Films wurden aber in begrenzten Räumlichkeiten gedreht, was in einer Atmosphäre von Spannung und Entfremdung zwischen den Bandmitgliedern inklusive des Regisseurs resultiert, und sich negativ auf deren geistige Gesundheit auswirkt. Enthüllt und isoliert suchen manche nach innerer Sicherheit während andere sich um Ablenkung zu erfahren auf ihre Mitmenschen fokussieren um für etwas Linderung ihrer, den extremen Bedingungen geschuldeten, geistigen Instabilität zu sorgen.

    Eine stetig anwachsende Präsenz von Unbehagen, die ihren Höhepunkt findet, als sich der seine Bandmitglieder schikanierende Antagonist dieses Films langsam herauskristallisiert. Der geneigte Zuseher mag sich hier fragen, ob das gleichgültige Schweigen der restlichen Charaktere sich hierbei nicht ebenso schwer auf die ansteigende Depression seiner Opfer auswirkt wie die Untaten des Bandrüpels. Wie auch immer, die bei mir am meisten Unruhe auslöste handelt von zwei jungen Musikern die mit einem ihrer Bandkollegen probten. Dieser von seinen jüngeren Kollegen angehimmelte Künstler missbraucht die Macht, die er durch diese Ausgangssituation inne hat, insbesondere im Gespräch mit der weiblichen Drummerin. Obwohl seine Kritik an ihren musikalischen Fähigkeiten gerechtfertigt sein mag, nimmt er ihr in dieser Situation das Recht sich aktiv am Gespräch zu beteiligen und der Ton seiner Ansprache spiegelt das unausgeglichene Mächteverhältnis wider.

    Eine Achterbahn der Gefühle, auf die mich die Hauptcharaktere als Zuseherin in ihren Van und in die eingeengten Übergangsbehausungen auf ihrer Tour mitgenommen haben. Ein Road Trip der aufgrund der ständigen Ortswechsel jedwedes heimische oder entspannte Gefühl für die Charaktere wie auch das Publikum im Keim erstickt. Räumlichkeiten, Fans, Konzertsäle verlieren ihre individuellen Aspekte und verkommen zu einer einheitlichen Masse. Mir selbst war es unmöglich beim Sehen all die gezeigten Events diese in eine feste Ordnung zu bringen. Eine willkommene Erfahrung die von einem magischen Realismus gegen Ende des Films zunehmend verstärkt wird.

    Die Spannung löst sich erst, wenn die Bandmitglieder in Momenten der Ruhe nachdenklich ihrer Persönlichkeit und Lebensführung gewahr werden. Szenen die in einem sonst sehr rasanten Film Raum für Selbstreflexion bieten. Diese Dia- sowie Monologe fühlen sich unglaublich ehrlich, verletzlich sowie frei an.

    „Spit'n'Split“ beinhaltet trotz seiner düsteren Grundstimmung aber auch viele heitere und lustige Augenblicke wie auch Charaktere. Die Personen in diesem Film wirken, einem John Waters Film nicht ganz unähnlich, allesamt ehrlich, unterhaltsam und erfrischen und erfahren am Schluss einen gewissen Grad an Erkenntnis. Zusammenfassend lässt sich dieser semi-fiktive Road Trip als eine faszinierende Erfahrung beschreiben, die man nicht auslassen sollte, sofern man eine nonlineare Erzählstruktur, wunderliche Charaktere sowie fantastische Musik mag.
    theuncannygirl_a4f055d50f.jpg
    17.10.2017
    23:36 Uhr