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    Tier mit S: Schaf!

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Als Greg Zglinski die Vorlage für seinen neuen Film „Tiere“ das erste Mal las, verstand er diese laut eigenen Angaben nicht und war trotzdem so berührt, dass es ihm ein Herzenswunsch war den Film zu realisieren und das Vorhaben des Autors der Vorlage, dem österreichischen Filmemacher Jörg Kalt, der sich vor 10 Jahren das Leben nahm, einen würdigen Abschluss zu bescheren.

    Koch Nick (Philipp Hochmair) und seine Frau, die Kinderbuchautorin Anna (Birgit Minichmayr) gönnen sich eine Auszeit in der Schweiz um Abstand von ihrem derzeitigen Leben zu gewinnen. Während Nick die Zeit dafür nutzen möchte lokale Kochrezepte zu sammeln, widmet sich Anna, die anscheinend unter einer Schreibblockade leidet, ihrem ersten Roman für Erwachsene. Ein Zusammenstoß mit einem auf der Straße stehenden Schaf wird zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, die auch immer wieder aus anderer Perspektive, mit anderem Ausgang dargestellt wird. Jede Figur erhält seine eigene Realität, die miteinander verschwimmen bis man nicht mehr sicher sagen kann, was wahr, Einbildung oder Traum ist, ob es Tag oder Nacht ist. Während Nick und Anna in der Schweiz versuchen ihre Ehe zu retten und sich auch kreativ weiterentwickeln möchten, passt die offenherzige Mischa auf deren Wiener Altbauwohnung auf. Auch ihr Leben wird von unheimlichen Geschehnissen heimgesucht, nachdem sie einen attraktiven Arzt wegen einer Kopfverletzung aufsucht und mit ihm ein Liebesverhältnis anbahnt. Die Rolle der Mischa wird verkörpert von Mona Petri, die in „Tiere“ gleich dreifach besetzt wurde. Neben der aufgeschlossenen Mischa, spielt sie ebenso die Rolle der Nachbarin Andrea, mit der Nick eine Affäre gehabt haben soll und sich am letzten Tag vor der Abreise des Ehepaars das Leben nahm, sowie eine mit Nick flirtenden Eisverkäuferin in der Schweiz. Noch verschachtelter wird die Story als Andreas Ex-Lebensgefährte, der davon überzeugt ist, dass Mischa diejenige sei, die er schon so lange liebt, auftaucht und ihr Herz zurück erobern möchte. Doch wie kann das sein? Befinden sich die Figuren in Parallelwelten? Waren deren Kopfverletzungen doch gravierender als zunächst angenommen? Oder wird, so könnte man ebenfalls eine im Film auftauchende sprechende Katze verstehen, eine Filmwelt mit phantastischen Elementen kreiert fernab von der Realität, wie wir sie kennen? Der Film liefert hierzu keinerlei Antworten und überlässt die Interpretation dem Publikum.

    Wie sich Jörg Kalt nun wirklich die Realisierung seiner Filmidee gewünscht hätte, kann man aufgrund seines frühen Todes nicht wissen. Für mich persönlich ist der Film allerdings nur bedingt geglückt. Das Zusammenspiel von Sound und Bild funktioniert perfekt. Durch marschähnliche Filmmusik, die von Bläser begleitet und einen Herzschlag imitierenden Puls durch die Gehörgänge des Publikums senden, gelingt das Aufbauen eines Spannungsbogens an genau den richtigen Sequenzen. Die spannungsgeladenen Szenen werden durch den trockenen Humor der Dialoge immer wieder unterbrochen, was ein gutes Verhältnis von Spannung und Entspannung der Zuschauerschaft mit sich bringt und somit die Aufmerksamkeit am Geschehen aufrechterhält. Stilistisch und filmisch gesehen, gibt es von dieser Seite also keine gravierenden bzw. nennenswerte Einwände. Auch die Geschichte fängt sehr gut an. Ab der ersten Szene, in der sich die hübsche Nachbarin Andrea aus dem Fenster stützt, worauf dessen die Kamera auf den Asphalt schwenkt – von der Leiche fehlt allerdings jede Spur – wird dem Publikum bewusstgemacht, dass in „Tiere“ nicht immer alles so ist wie es scheint. Die Raum- und Zeitebenen sind non-linear und nach keinem bestimmten Muster nachvollziehbar miteinander verwoben, was zu Verwirrung der Figuren sowie dem Publikum innerhalb der Narration führt. Dreiviertel des Films funktionieren die Perspektivwechsel und das ständige Öffnen weiterer Türen sehr gut, doch auch wenn der Regisseur genau diese endgültige Verwirrung des Publikums erreichen wollte um genügend Raum für Interpretationen offen zu lassen, war das Ende meiner Meinung nach ein zu einfach gewählter Weg seitens des Filmemachers, der sich laut eigener Aussage selbst nicht genau mit der Vorlage ausgekannt hat. Das könnte man natürlich so hinnehmen, gutheißen oder eben kritisieren. Da Zglinskis Film im offiziellen Trailer dann aber mit der Qualität der Filme von David Lynch, ein Meister des surrealen Horrorkinos, auf eine Stufe gestellt wird, wirkt etwas zu hoch gegriffen.

    Für das Ende hätte man sich zwar wünschen können, dass Greg Zglinsk sich nicht den einfachsten Weg aussucht. Dennoch ist „Tiere“ ein sehr sehenswerter Film mit verschachtelter Story, die filmisch gut inszeniert wurde und durch die Mischung aus schwarzem Humor und spannenden Szenen überzeugen kann.
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    05.11.2017
    18:18 Uhr