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85% Bewertung
  • Bewertung

    Koch als Killer

    Was für ein schlichter Titel für einen so grandiosen Film! Inhaltlich werden diverse Themenkreise behandelt, die zu ganz unterschiedlichen Genres gehören.
    Es beginnt im Gangstermilieu, wo sich feindliche Killer gegenüberstehen, die Mr. Long (Chang Chen) nach dem Leben trachten. Er trifft auf der Flucht die drogenabhängige Mutter Lily (Yi Ti Yoa), die einen kleinen Sohn Jun hat und sich prostituiert. Durch Prügel und kalten Entzug, inklusive Waterboarding bringt Long Lily vorübergehend von der Nadel runter. Ein Sozialdrama bahnt sich trotzdem an.
    Mr. Long, der Held redet fast nie, weil er die Sprache nicht kann und lächelt auch nie, weil sein Leben kein Ponyhof ist. Zwischen Long und Lily läuft nichts Sexuelles. Sie geht weiter auf den Strich. Er versucht ihr und Jun das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
    Eine Nachbarschaftshilfegruppe baut Long einen Imbisskarren, weil sie merken, wie toll er kochen kann. Longs wirtschaftlicher Aufstieg beginnt. Vorübergehend entsteht ein Familienidyll, bis die Mafia ihn und Lily findet. Parallele Welten treiben neben einander her. Lilys früherer Zuhälter vergewaltigt sie, während Long und der kleine Jun Suppe verkaufen. Das menschliche Drama vertieft sich: Lily nimmt sich das Leben, die Nachbarschaft wird zusammengeschlagen, der Imbisskarren zerstört. Der stille Long wird zum Rächer der Schwachen und mischt in einem Riesengemetzel die Gangsterbande auf.
    Ein furioses Finale fährt noch die emotionale Schiene ganz hoch. Die Nachbarschaft entdeckt Long in einem Lokal, macht die Straße für ihn und seinen neuen Sohn den von Lily frei. Berührender Schluss eines großartigen Films, der recht unorthodox erzählt, dabei die Spannung nie aus dem Focus verliert und auch noch für Emotionen Raum läßt.
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    13.08.2019
    14:47 Uhr
  • Bewertung

    Ein Killer mit Seele

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    Regisseur Sabu hat einen sehr eigenen Sinn für Humor. Das zeigt sich an der Handlung seines neuesten Films. Ein Auftragskiller, den es in die Provinz verschlägt, wo er zum Ersatz-Vater und Nudelsuppenkoch wird. Eine vielschichtige Figur, die nicht nur dem Genre-Klischee des kaltblütigen Mörders entspricht. Sabu erzählt die Geschichte in ästhetisch inszenierten Bildern, die Optik ist im sehr wichtig. Er habe viele Szenen vorher als Bilder aufgemalt und dann mit der Kamera als solches umgesetzt, erklärte er bei der Pressekonferenz.

    Der Film funktioniert in erster Linie über seine Hauptfigur Long und dessen befremdlich wirkende Ausdruckslosigkeit. Seine Hände und sein Körper werden zu blitzschnellen tödlichen Waffen, was Sabu bereits in der Anfangsszene klarmacht, als Long eben mal innerhalb von zwei Minuten eine Gruppe Kleinkrimineller umlegt. Sein Gesicht verrät hingegen keine Form von Emotion oder Gedanken. Long bleibt stumm, erst als er in Japan auf Jun trifft, hört man ihn zum ersten Mal sprechen. Sabu spielt nicht nur mit der Fremdheit seines Charakters, Long ist der Fremde. Als Taiwanese ist er der sprachlich Unvermögende im ländlichen Japan. Viel des Humors spielt sich auf der Ebene der Kommunikationslosigkeit ab. Die freundlichen Japaner reden auf Long ein und über Long hinweg. Er kann sich aufgrund des Fremdsprachendefizits nicht ausdrücken oder dem Gespräch beisteuern. „Du bist cool, du sagst nie was“, sagt Halb-Taiwanese Jun zu ihm. Die Wertschätzung, die Long für seine Umwelt empfindet, taucht erst langsam durch Gesten und Blicke auf, nicht durch verbale Kommunikation.

    Die Schwäche des Films ist seine Verwurzelung in zwei verschiedenen Genres, die nicht wirklich zu verschmelzen vermögen. Zu Beginn ist der Film ein knallharter Gangsterfilm mit eiskalten Kriminellen, Machenschaften in Restaurantküchen, Messerkämpfen und Entführungsopfern in Autokofferräumen. Die Handlung schlägt genau an jenem Punkt in ein Selbstfindungsdrama um, als Sabu in der zweiten Hälfte des Films entscheidet, die Mutter Lily zu einer weiteren Hauptfigur zu erheben. War sie bisher nur als zugedröhnte Nebenfigur zu sehen, zeigt Sabu in einer sehr ausladenden Rückblende ihren Weg von einem Escortgirl zu einer Drogensüchtigen mit Sohn. Die Szene schlägt sich mit Erzählrhythmus und Fokus des Films, sie wirkt zwanghaft eingeführt und sticht aus dem sonstigen Handlungsverlauf heraus. Sabu selber erklärte, dass ihm dieser Flashback sehr wichtig war. Dennoch wäre es sinnvoller gewesen, Lily früher und anders einzuführen.

    Trotz des sich in mehrere Richtungen entwickelnden Fokus der Geschichte schafft es Sabu, sich tiefgehend mit seinen Charakteren auseinanderzusetzen und Interesse daran zu entfachen, was ihnen die Gesellschaft angetan hat und wie ihre Eigenschaften sie dazu wappnen, damit umzugehen. Wer einen solide gemachten Gangsterfilm will, muss jedoch woanders suchen.
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    06.03.2017
    23:13 Uhr