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    Wenn Liebe abhängig macht

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    Als Toma Ana kennen lernt, ist sie eine junge Studentin, die mitten in ihrem Gespräch plötzlich eine Panikattacke erleidet und verzweifelt feststellen muss, dass sie ihre Medikamente nicht mitgenommen hat. Toma beginnt beruhigend auf sie einzureden und legt ihr die Hände auf den Körper, bis sie sich schließlich beruhigt. Kurz darauf sind die beiden ein Paar. Die Dynamik ihres ersten Treffens transferiert sich auch auf ihre Beziehung. Ana, die Bedürftige mit den psychischen Problemen und Toma, der ganz in der Rolle ihres Beschützers aufgeht. Ob wie geschaffen füreinander oder ein Rezept für eine Katastrophe, das versucht der Film in zwei Stunden Laufzeit herauszufinden. Mit ihrer verschachtelten Erzählweise zieht Regisseurin Călin Peter Netzer Parallelen zwischen dem Ist-Zustand, dem Gewesenen, dem Zukünftigen und den Entscheidungen von Toma und Ana sowie ihren Eltern. Das Ergebnis ist ein komplexes Portrait einer ungesunden Liebesbeziehung.

    „Ana, mon Amour“ ist ein Film mit vielen Zeitabschnitten und Orten, die gleichbleibende Konstante ist das Spiel zwischen seinen zwei Hauptcharakteren. Hin und her hüpfend zwischen der totalen Abhängigkeit voneinander und der langsam aufkommenden Verachtung, entfaltet sich der Niedergang ihrer Beziehung und Ehe. „Ich habe mich für dich isoliert“, meint Toma vorwurfsvoll an einem Punkt. „Du kontrollierst mich“, gibt Anna bissig zurück, und legt später traurig nach „Ich wünschte, du hättest mit mir wachsen können“.

    Eine der Stärken von „Ana, mon Amour“ ist, dass er sich nicht nur mit seinen Liebenden beschäftigt, sondern auch mit der Frage, wie die Beziehung der Eltern ein Individuum beeinflusst und sich auf dessen Liebesleben auswirkt. Ana ist traumatisiert als sie erfährt, dass ihr Vater Igor eigentlich nur ihr Stiefvater ist. Der sie an sich bindende resolute Mann, der gerne blau gestreifte Pyjama trägt, bekommt nicht von ungefähr immer mehr Ähnlichkeit mit Toma. Besonders als er in seinen Traumsequenzen, die er mit dem Psychiater analysiert, denselben Pyjama zu tragen beginnt. Toma hingegen musste miterleben, wie seine Mutter den Vater seinetwegen nicht verließ. Ebenso wurde er vor Ana von einer anderen Frau mit dramatischen Ausgang verlassen. Eine Wunde, die nie richtig verheilte. Seine Abhängigkeit von Ana spiegelt somit jene Unsicherheit wieder, dass Frauen ihm früher oder später den Rücken kehren.
    Die Schwäche des Films ist, dass er etwas länger braucht um diese interessanten Parallelen und Analysen in Gang zu setzen. Zu Beginn bleiben die Charaktere sehr blass und werden durch die Handlung nicht sonderlich gut entwickelt. Vielmehr fragt man sich als Zuschauer, ob man überhaupt irgendwen sympathisch finden soll oder kann. Toma ist überheblich und zu bemutternd, der Typ Mann der jegliche Literaten ohne Nobelpreis unter seiner Würde empfindet. Ana ist weinerlich und hilflos, ihre einzige Funktion besteht darin sämtliche Ratschläge und Therapien der Ärzte abzulehnen oder als halb lebloser Körper von Toma von A nach B geschleift zu werden.

    Wirklich interessant wird es erst in der Mitte des Films, als Ana eine Therapie bei Mirina beginnt und sich das Gleichgewicht der Beziehung ändert. Plötzlich gewinnt sie an Stärke, Toma wird in die Defensive gedrängt. Ihr Psychiater wird sein Feind. In seiner Verzweiflung beginnt er Ana sogar zu beschatten. An diesem Punkt ist einem die Sympathie für jegliche Charaktere egal, die Abwärtsspirale ihrer Beziehung wird zu faszinierend, so emotional, zu schmerzvoll und zu einem gewissen Grad auch zu nachvollziehbar um einer etwaigen Ablehnung noch nachzuhängen. Damit schafft der Film etwas, was andere Filme auf der Berlinale vergeblich versucht haben. Er regt zum Nachdenken an und lässt den Zuschauer Schlüsse über sein eigenes Leben ziehen. Somit ist er trotz Stolpersteinen wie schwachen Charakteren ein zufriedenstellendes Werk.
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    25.02.2017
    13:51 Uhr