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    Musik als Widerstand

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    „Das ist nicht mein Krieg“, erklärt Django seiner Geliebten Louise in einer Bar, nachdem sie ihm nahelegt, aus Frankreich zu flüchten. Django ist Musiker, ein begnadeter Gitarrenkünstler und der Star von Paris. Selbst die vor Ort stationierten Nazis besuchen in Massen seine ausverkauften Konzerte. Django wiegt sich daher in Sicherheit. Die Deutschen brauchen ihn, auch wenn er nicht mit ihnen kollaboriert. Das alles ändert sich jedoch als von ihm verlangt wird, ebenfalls in Deutschland Konzerte zu spielen. Django will diese Tournee nicht spielen. Seine Familie und Freunde fürchten, dass er nie mehr von dieser Reise zurückkehren würde.

    Um die Person Django filmisch einzufangen, benutzt der Regisseur Etienne Comar die einfachste und effektivste Methode: die Musik Djangos. Er vertraut dem Zuschauer, dass dieser die inhaltlichen Lücken selber füllt. Was er zu sehen bekommt ist nicht der Werdegang des wichtigsten Swing und Blues-Musikers Europas, sondern den bereits etablierten Künstler, der sich in einem gefährlichen Abschnitt seines Lebens wiederfindet. Einerseits dient ihm die Gunst der Deutschen zum Überleben, andererseits will er sich ihnen auch nicht als Propagandamittel beugen. Die Musik dient als Konfliktherd. Einerseits ist sie Ausdruck der Freiheit und Selbstbestimmtheit für Django und die Franzosen, andererseits „Affen- und Negermusik“ für die Deutschen, da sie in deren Augen jegliche Moral und Anstand erlischen lässt. Immer wieder geben die Offiziere Django und seiner Band Vorgaben, wie sie Musik zu spielen haben. Eine gewisse Prozentanzahl von flotteren Liedern, kein Blues und der Bass muss mit dem Bogen gespielt werden.

    Django ist ein Meister des Swing, je mehr er sich innerlich den Deutschen widersetzt, desto flotter werden seine Finger, desto mehr reißen seine Melodien die Menschen um ihn mit. Da hilft auch kein „Tanzen verboten“ Schild an den Wänden, der Widerstand seiner Landsleute manifestiert sich in ihrem flotten Hüftschwung. Dass die Befürchtungen der Deutschen nicht unberechtigt sind, zeigt sich auch an einer Szene in einem Pariser Tanzlokal. Dort wird ein kurzer Film gezeigt, in dem Aufnahmen von Hitler und seinen Soldaten so zusammengeschnitten wurden, dass sie sich zum Takt einer Melodie bewegen. Tanzende Nazis – für die Gäste des Lokals eine belustigende Ansicht. Sie lachen, der Bann der Furcht ist gebrochen.

    Während Djangos Flucht an die Schweizer Grenze bekommt die Musik neben ihrer Widerstands-Funktion auch Funktion zum Überleben. Django und seine Familie treffen außerhalb des Ortes auf Verwandte. Gemeinsam treten sie in lokalen Gasthäusern als Band auf, um Geld zu verdienen. Die Gefahr erkannt zu werden, unterwiegt der Notwendigkeit, durch Musik seinen Unterhalt zu verdienen.

    Die Bedeutung der Musik ersetzt das Aufzeigen politischer Positionen. Comar empfand es nicht als notwendig, dauernd den Zeigefinger zu heben um zu zeigen, wer in seiner Geschichte die Bösen sind und wer die Guten. Django wird nicht als glühender Widerstandskämpfer porträtiert, sondern als Mann, der sich und seine Familie in Sicherheit sehen will. Als die Widerstandskämpfer ihn bitten, einen britischen Flieger zu retten, verlangt er eine Gegenleistung. Die Nazis sind zum Großteil in ihren Rollen austauschbar und dienen in erster Linie als konstante Bedrohung im Hintergrund. Comar hebt im zweiten und dritten Akt der Handlung lediglich den Kommandanten der deutschen Besatzer als brutalen Gegenspieler weiter hervor. Die Gewalt ist aber nur ein Weg, um die Nazis im Film vorzuführen. In einer Szene beim Arzt stellt Django klar, dass seine linke Hand nicht durch Inzest entstellt und teilweise gelähmt ist, sondern durch einen Feuerunfall mit Kunstblumen. Der betretene Gesichtsausdruck des Arztes stellt die Peinlichkeit der Nazi-Ideologie der reinen Rasse somit unkommentiert und genüsslich in den Raum.

    Gegeben der Tatsache, dass Europa in den letzten Jahren eine riesige Flüchtlingswelle erreicht hat, besitzt der Film auch eine gegenwärtige Relevanz. Django ist ein Flüchtling. Ein Mann, der aufgrund seiner Herkunft in ein sicheres Drittland, die Schweiz, fliehen will, da er Angst hat umgebracht zu werden. „Die, die in Züge steigen werden nie mehr gesehen. Ihr müsst fliehen“, erklärt ein Sinti den an der Grenze lebenden Nomaden. Die Tatsache, dass der historische Django Reinhardt an der Schweizer Grenze aufgrund fehlender Papiere zurückgewiesen wurde und in Frankreich bleiben musste, greift der Regisseur jedoch nicht auf. Zwar hätte dies noch weitere Parallelen zur Gegenwart geschaffen, Comar wollte jedoch eine Geschichte von Musik als Widerstand erzählen, und keine Parabel auf den Flüchtlingsnotstand der heutigen Zeit schaffen.
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    11.02.2017
    18:26 Uhr