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    Konsumterroristen

    Ein gedanklich gefährliches Konstrukt, das mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Gefährlich, weil durchaus denkbar. Eine Gruppe Jugendlicher von unterschiedlicher sozialer Herkunft legt in Paris Bomben und tötet den HSBC Präsidenten. Danach lassen sie sich nach Ladenschluss in einem Nobelkaufhaus einschließen. Die Terroristen genießen den Luxus in vollen Zügen. Verbringen also eine Nacht im Überfluss. Bis die Polizei eintrifft und wie beim Moorhuhn Videospiel einen nach dem anderen erschießt. Technisch sind die Einstellungen durchaus gelungen. Oder wenn vom goldenen Reiterstandbild der Jeanne d’Arc Tränen kullern.
    Alles geschieht unkommentiert, äußerst distanziert, von wenigen Momenten abgesehen ohne Emotionen. Da ist es erstaunlich, dass die Kids nach den ersten Schüssen Angst bekommen. Angst vor der eigenen Courage. Hätten sie sich das nicht denken können? Können die Jugendlichen nur so weit denken, wie ein Lama spucken kann? Während man noch darüber grübelt, was die Kids zu dieser Aktion veranlasst haben könnte, läuft bereits der Abspann. Unkommentiert.
    Werden hier die Terroristen – falls es welche sind – zu Konsumterroristen?
    Ist unser Luxus nur geliehen?
    Kann ihn sich jeder holen? Er muss sich nur trauen?
    Ist das Ganze nur ein Zeitvertreib für die Youngsters, aus der Langeweile geboren?
    Wollen sie erfahren, wie es ist superreich zu sein?
    Ist das Ganze Ausdruck von Systemverdrossenheit?
    Einen netten Gag am Rande ließ sich Regisseur Bonello noch einfallen: die Jugendlichen laden ein Pennerpärchen ein, das es sich im Luxustempel mal richtig gut gehen zu lassen soll. Soziale Geste? Anzeichen von Solidarität? Viele offene Fragen!
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    11.02.2020
    10:18 Uhr
  • Bewertung

    So now the end is near

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Junge Menschen gehen bzw. fahren mit der U-Bahn durch Paris. Ganz ohne Worte, aber mit gewaltigen Bildern begleitet man sie in ihren Bewegungen. Auf den ersten Blick sieht man auf Grund ihrer Unterschiedlichkeit nicht, dass sie zusammengehören. Da gibt es unter anderem das verliebte Paar (Finnegan Oldfield und Laure Valentinelli) das Richkid André (Martin Guyot) und Yacine (Hamza Meziani), das Mädchen aus den Banlieues - Einzig ihre Rastlosigkeit, Nervosität und paranoiden Blicke mit denen sie sich durch die Stadt bewegen, scheinen sie zu verbinden. Nach und nach offenbart sich, dass sie gemeinsam Terroranschläge auf mehrere Gebäude in Paris planen. Immer mehr verdichtet sich die Spannung, konzentriert sich im Moment der Anschläge und baut sich dann ganz langsam in der Nacht im Kaufhaus wieder ab.
    
Genau davon lebt der Film: Der Regisseur, Bertrand Bonello, baut „Nocturama“ eine Stunde lang auf, macht die ZuseherInnen nervös, um den Film dann über die verschiedenen Charaktere und das Motiv des Wartens langsam wieder zu entladen. Getragen wird diese Spannung nicht zuletzt von der einnehmenden schauspielerischen Leistung der DarstellerInnen.

    Vor allem die erste Hälfte des Films kommt mit nur wenigen Worten aus. In der Anfangssequenz wird sogar überhaupt nicht gesprochen und der Spannungsbogen wird allein über viel Bewegung gespannt. Als sich die AttentäterInnen im zweiten Teil, nach den Anschlägen, im Kaufhaus verstecken, beginnt das unerträgliche Warten: Wird die Polizei ihnen auf die Schliche kommen oder können sie ab dem nächsten Tag wieder zu ihrem normalen Leben zurückkehren. Und können sie zu diesem überhaupt zurückkehren? An diesem Punkt steigen sicherlich einige ZuseherInnen aus, da es zu gewissen Längen kommt. Doch genau durch diese, wird die Spannung aufrecht gehalten und das unerträgliche Warten der Jugendlichen auch für das Publikum erfahrbar gemacht. Stellenweise ist der Film kaum auszuhalten, und das auf eine ganz wunderbar gekonnte Art und Weise.

    Die Filmmusik wird über die ProtagonistInnen selbst, mittels Fernseher und Soundsystemen in den Film eingespielt und wirkt dadurch unglaublich authentisch. Überhaupt ist der Soundtrack, der von Bonello selbst komponiert wurde, absolut hörenswert.

    „Nocturama“ behandelt ein gesellschaftlich aufgeladenes Thema ganz ohne mit Klischees zu spielen. Man sieht Brutalität, die nicht nach Sensation giert. Sie wird einfach gezeigt, weil sie dazugehört. Dadurch, dass es nicht um Motive und Gründe geht, ist der Film nur sehr subtil politisch und kann nicht in ein Eck gestellt werden. Zeitlich ist dazu zu sagen, dass Bonello den Film 2010 begonnen hat und 2015, bereits vor den Pariser Anschlägen im November, fertiggestellt hat. Dennoch ist es wohl für die meisten ZuseherInnen nicht möglich, den Film nicht mit dem Terror in Europa in Bezug zu setzen. Deshalb forderte der Regisseur das Publikum bereits dazu auf, den Film möglichst nur als fiktiven Spielfilm zu betrachten.

    Wenn man sich auf diesen Film einlässt, bekommt man zwei Stunden absolut gekonnte Spannung geboten – ein atmosphärisches Kinoerlebnis!
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    28.10.2016
    13:38 Uhr
  • Bewertung

    Rebellen allein im Shoppingcenter

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Eigentlich frag ich mich ja immer wieder wie weit es überhaupt legitim ist Filme zu bewerten, wo doch einen großen Teil der Sache der Personalstil des Autors ausmacht und das Gefallen somit Geschmacksache ist. Mit manchen Menschen kann man, mit manchen nicht. Ist halt so.
    Ganz besonders gilt das bei Filmemachern wie Bertand Bonello. Seinen sehr markanten Individualstil – harte Schnitte in langen ruhigen Einstellungen, oftmalige Wiederholungen, der unvermittelte Einsatz von Rückblenden – kann man mögen, muss man aber nicht.
    Mir persönlich ist er erstmals bei einer früheren Viennale mit seinem bemerkenswerten „L'Apollonide“ untergekommen & trotz anfänglicher Skepsis sind wir dann doch miteinander warm geworden. Einigermaßen.

    Nun also „Nocturama“.

    Im Gegensatz zum historischen Thema seiner letzten Arbeit ein sehr heutiger Film: eine Gruppe blutjunger Aktivisten verübt im Pariser Getümmel eine perfekt getimte Serie von Anschlägen. Die Kamera begleitet sie dabei und in den Stunden darauf aufs Intimste.

    Eins der grundlegenden Probleme dieses Filmes – so grundlegend, dass selbst Bertrand Bonello es eingangs im Publikumsgespräch erwähnt – ist, dass sein Thema scheinbar in der Zeit seit er geschrieben & gedreht wurde von der französischen Wirklichkeit der Jahre 2015/16 überholt wurde.
    Mich persönlich hat dies allerdings nicht gestört, im Gegenteil, es ist in diesem Film nämlich von politischem, nicht religiös motiviertem Aktivismus die Rede. Eine Form von Terrorismus die seit den Tagen der RAF, Brigate Rosse oder Action dirècte in Mitteleuropa fast vergessen ist.

    Was mich hingegen schon weit mehr stört als diese scheinbare Überholtheit ist, dass Bonello sich absolut nicht um die Motive der jungen Menschen kümmert. Kaum oder nur sehr vage wird darauf eingegangen, was sie bewegt gezielte Exekutionen vorzunehmen, Bomben zu legen und dabei den Tod Unschuldiger in Kauf zu nehmen. Stattdessen ergötzt sich die Kamera etwa lange an der thrillerartig inszenierten Sternfahrt der Protagonisten an ihre Tatorte (Uhrzeiteinblendungen inklusive). Weil man noch nicht weiß worauf's hinausläuft baut das zwar köstliche Spannung auf, erzählt aber nix & wäre auch in kürzerer Darstellung noch effektvoll gewesen.
    Dass die Gruppe nach verübter Tat im zweiten Teil der Erzählung ausgerechnet in einem nächtens versperrten Kaufhaus untertaucht um dort abgeschieden den hoffentlich ruhigeren Folgetag zu erwarten, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Erstens da dies natürlich guerillataktisch absoluter Selbstmord ist und mehr noch da sie dort – alleingelassenen Kindern im Zuckerlgeschäft gleich – in einen wahren Konsumrausch verfallen.
    Man bekommt den Verdacht, dass den Figuren gar nicht so sehr daran liegt die Gesellschaft als Ganzes zu verbessern, sondern einzig Konsumneid sie angetrieben haben könnte. Und auch das Zeitproblem, das ich mit diesem Film habe wird hier abermals virulent: 7 Handlungsstunden müssen sich nicht unbedingt wie 420 Filmminuten anfühlen um zu wirken.

    Nun gut, Sie merken schon, ich bin gespalten. Das Fazit könnte lauten: sehr ästhetisches, (personal)stilsicheres Stück Kino, das seine gesellschaftlichen Fragen ganz dem Zuschauer überlässt und vermutlich auch in 90 statt 130 Minuten erzählt werden könnte. Aber dann wär's wohl kein Film von Bertrand Bonello mehr.
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    26.10.2016
    15:44 Uhr