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    Vergebung mit Längen

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Nachdem sie 30 Jahre unschuldig in Haft war, kommt Horacia Somorostro frei. Jemand anderes, ihre Knastfreundin Petra, hat den Mord, der ihr angehängt worden ist, gestanden. Sie habe den Auftrag im Namen von Rodrigo Trinidad erledigt. Rodrigo ist Horacias Exfreund und wollte aus Eifersucht ihr Leben zerstören. Nun schwört Horacia sich an Rodrigo zu rächen.

    So lautet die Premise des Films von Lav Diaz, der auf einer Kurzgeschichte Tolstois basiert und im Jahre 1997 auf den Philippinen spielt. Nur geht es in dem vierstündigen Schwarz-Weiß Werk weniger um Horacias Racheplan, sondern darum Vergebung zu lernen. Diaz füllt diese Zeit mit vielen Szenen der Einwohner im Armenviertel und den Randfiguren der Gesellschaft, ihrer Lebenssituation und der Freundschaft, die Horacia zu ihnen aufbraucht. Sie hilft ihnen, ob es nun das zur Verfügung stellen von Geld für die Familie oder das Rufen des Arztes nach der Vergewaltigung ist. Als finanziell gut situierte Frau wird sie für ihre Gemeinschaft ein Schutzengel.

    Rodrigo selber wird erst nach eineinhalb Stunden Laufzeit eingeführt. Man erfährt nicht viel über ihn. In einer Szene beichtet er dem Priester, dass er ein schlechter Mensch wäre und nichts daran ändern könne sich gut zu fühlen, das Leben anderer zerstört zu haben. Sein sporadisches Auftreten dient als Erinnerung, dass sein Niedergang das Ziel der Handlung sein sollte, auch wenn diese sich nicht in diese Richtung entwickelt.

    Die Langsamkeit der Handlung ist nicht nur eine Vorgabe des Drehbuchs, auch in der Inszenierung lässt Diaz sich viel Zeit. Minutenlang hält die Kamera auf „Nicht-Handlungen“. Horacia beim Briefe schreiben, ihre Haushälterin beim Wäsche waschen, ihr Freund, der Bucklige, beim Sitzen und schlafen. Dieser Effekt wird durch die wenigen Schnitte noch verstärkt. Diaz lässt in langen Einstellungen Totalen des diegetischen Raums filmen, in denen sich die Kamera nicht immer auf die Charaktere konzentriert. Oft sind sie nur aus der Ferne zu sehen, manchmal sind andere Figuren im Vordergrund, denen aber nicht der Fokus gehört.

    Der Film erklärt nichts, vieles erschließt sich dem Zuschauer erst durch aufmerksames Hinschauen. Das ist bei vier Stunden Laufzeit nicht immer leicht. Diaz gelingt ein interessanter Querschnitt der bunten Bevölkerung der Philippinen, wer sich aber ein straffes dramaturgisches Korsett erwartet wird enttäuscht sein. „Ang Babaeng Humayo“ ist ein Plädoyer für Vergebung. Nur ist es schwer, diesem Gedankengang bei dem langsamen Filmtempo auf Dauer zu folgen.
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    29.10.2016
    13:11 Uhr