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    „Was hat der Hund Ihnen denn getan?“

    Exklusiv für Uncut
    Frauenfeindlichkeit. Homophobie. Korruption. Negative Begriffe wie diese sind es, die einem in den Kopf kommen, wenn man in heutiger Zeit an die Türkei denkt. Mit ihrem Episodenfilm „Köpek“, der sich aus drei lose miteinander verbundenen und parallel zueinander erzählten Handlungssträngen zusammensetzt, versucht die türkisch-schweizerische Regisseurin Esen Işık den Zuschauern den bitteren Alltag Istanbuls spüren zu lassen und schafft dies zumeist bravourös.

    Die erste Episode handelt vom zehnjährigen Jungen Cemo, der lieber mit seinem besten Freund Taschentücher verkauft, als in die Schule zu gehen. Als beide einen kürzlich verwaisten Welpen finden, nimmt Cemo ihn mit. Der zweite Handlungsstrang des Films erzählt die Geschichte von Hayat, deren Ehemann des Öfteren zu gewalttätigen und eifersüchtigen Tendenzen neigt. Als sie sich mit einer totgeglaubten Bekanntschaft aus der Jugend trifft, muss sie das Ganze ihrem misstrauischen Gatten erklären. Die dritte Story handelt von der transsexuellen Prostituierten Ebru, die sich häufig homophober Beleidigungen und Ausschreitung ausgesetzt sehen muss. Ihr ehemaliger Freund hat sich, um nicht auch tagtäglich erniedrigt zu werden, dazu entschieden, ein für den Großteil der türkischen Bevölkerung als ‚normal‘ angesehenes Leben zu führen. Auch wenn die drei Geschichten grundsätzlich völlig verschieden klingen, haben doch alle drei eine große Gemeinsamkeit: aufzuzeigen, was im Justizsystem der Türkei alles gehörig falsch läuft. Exemplarisch dafür gibt es eine Szene im Film, in der Hayat der Polizei melden will, dass ihr Ehemann sie physisch misshandelt, jedoch schenkt die Polizei schlussendlich der Aussage des Mannes viel mehr Glauben. Der Titel ‚Köpek‘ (türkisch für ‚Hund‘) umschreibt den Film perfekt. In einer Sequenz, in welcher ein Beamter den Waisenhund tritt, schreitet Cemo ein und fragt: „Was hat der Hund Ihnen denn getan?“ Diese Frage lässt sich auf alle drei Protagonisten übertragen: Ob man nun weiblich, transsexuell oder gar noch ein Kind ist; in den Augen der von Männern dominierten türkischen Justiz ist man somit im übertragenen Sinne nichts weiter als ein Hund: Entweder man folgt seinem Herrchen oder man muss mit schlimmen Konsequenzen rechnen. Die politische Message hätte sich lang nicht so stark in mein Hirn eingebrannt, wäre da nicht der brillante Cast. Vor allem hervorzuheben wären hierbei Oğuzhan Sancar, der als Cemo neben Jacob Tremblays sensationeller Performance in Lenny Abrahamsons Entführungsdrama „Room“ (2016) eine der emotional-mitreißendsten Kinderperformances des Jahres darzubieten hatte, sowie Beren Tuna als Hayat, welche durch ihr nuanciertes und emotionales Spiel den Zuschauer dazu anregt die Figur ihres Ehemannes noch mehr zu verabscheuen und ihr Leid nachzuvollziehen.

    Mein einziges gröberes Problem mit dem Film war die ästhetische Eintönigkeit, weswegen mich der Film an manchen Stellen kurzzeitig verlor. Einzig und allein die letzte Einstellung, die sogleich zum Abspann übergeht, konnte sich in mein Hirn einbrennen und fasst die vorangegangene Atmosphäre des Episodenfilms toll zusammen.

    Fazit: Köpek ist kritisch, mitreißend, herausragend gespielt und vor allem mutig. Mehr davon!
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    19.07.2016
    15:01 Uhr