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    Ist der hohe Berg der Erwartungen bezwingbar?

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2016
    Tu einfach mal so als wäre nichts gewesen und leb’ dein Leben normal weiter.“ Leichter gesagt als getan, Herr Rechtsanwalt. Die Rache ist süß, wenn man so tief fallen musste, wie Karsten – für etwas, in das er reingeraten ist. Nach einer durchgefeierten Nacht liegt Anna auf einmal tot auf dem Boden seiner Wohnung. Doch wer tief fällt, kann hoch steigen (und ist schon mal hoch gestiegen) und die Beklemmung ist erst dadurch so unerträglich groß, dass Karsten sich als Sohn des Bürgermeisters in einer wichtigen öffentlicher Rolle befindet, in der er sich keine Fehler erlauben kann. Vor allem ist die Hauptsache, niemand bekommt Wind von dem Skandal – das Image darf nicht leiden.
    Fast schon aufs Auge gedrückt geben die Protagonisten ein Bild der aufgesetzten Perfektion und Harmonie ab. Sie wollen natürlich gut angesehen bleiben und ihren guten Ruf nicht verlieren.

    Im ersten deutschsprachigen Film der türkisch stämmigen Regisseurin Asli Özge wird eine Art von Machtgehabe (die man von Politikern kennt) unter die Lupe genommen, die so in allen Teilen der Welt passiert. Inspiriert wurde der Film von einer wahren Geschichte einer tot aufgefundenen Mutter, die die Regisseurin in der Zeitung gelesen hatte. Es machte Özge wütend, dass manche Journalisten der Toten selbst die Schuld gaben, und so wollte sie ihren Eindruck davon verarbeiten.

    Die Geschichte wird aus der Perspektive des gutaussehenden Karsten erzählt, der einem zuerst noch harmlos erscheint, doch nach und nach immer manipulativer wird. Zuerst muss er unter der Bürokratie des Rechtssystems leiden, dann versucht er aus der Stadt zu entkommen um den hohen Wall der Konformitäten zu bezwingen. Als er das System aus der Ferne betrachtet, versteht er es erst so richtig und realisiert, dass er sich an dessen Spitze stellen kann. Es ist ein Spiegel der Gesellschaft und deren Machtmechanismen, der gut den Zeitgeist trifft. Das Esszimmer der Eltern, ein beklemmender, runder Raum komplett mit wertvollen Stoffen ausgekleidet, stellt das eingeschlossene System der Mächtigen ebenso gut dar wie es die Stadt an sich tut, die als Drehort diente. Das Kleinstadt Altena (regenreichster Ort Deutschlands), mit ihren engen Gassen, dem Fluss in der Mitte und den bewaldeten Hügeln rundherum gibt der Geschichte als stimmiger Schauplatz Nachdruck.

    Sebastian Hülk gibt eine beeindruckend ambivalente Darstellung des Karsten dar. Er erzählte mir nach der Pressekonferenz es sei vor allem psychisch eine große Anstrengung gewesen, die zwei Monate Drehzeit durchgehend in der Kleinstadt und somit auch in dieser schwierigen Rolle zu bleiben. Zuerst war er ja noch ein ganz normaler Mittdreißiger der gerne mit seinen Freunden feiert. Doch dann wird er zu einer machtgeilen Sau, die sich zurückholt was ihr zusteht. Denn was er erleben musste hat er nicht verdient. Die Spirale aus Geheimnis, Betrug und einfachem Unwissen spaltet so manche Freundschaft und lässt Karsten am Ende sehr einsam stehen.
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    17.02.2016
    11:11 Uhr