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    Der Mörder und der Sperling

    Der Film ist mehr als nur ein wahres Biopic des Mörders Robert Stroud, es ist ein Gefängnisklassiker der anderen Art, der bis auf den Schluss ohne Gewalt und ohne die sonst üblichen Ausbruchsversuche auskommt. Im Laufe seiner Leinwandkarriere hat Burt Lancaster jede erdenkliche Rolle gespielt egal ob Pirat oder Soldat, Indianer oder Zirkusartist. Er war im Western genauso zuhause wie als Grand Seigneur als Symbol einer untergehenden Epoche.
    John Frankenheimer hat einen sehr vielschichtigen Film gemacht. Hier verkörpert Lancaster den Mörder Stroud als intelligenten, äußerst sensiblen Menschen, der einen Fehler gemacht hat und im Laufe seines Lebens im Gefängnis ein anderer Mensch wird. Auf der vordersten Ebene läuft das Duell mit dem Gefängnisdirektor Shoemaker (Karl Malden) ab, einem verborten psychopatischen Idealisten. Da stehen Vorschriften gegen Menschlichkeit. Hier erkämpft sich Stroud eine Reihe von Privilegien. Auf einer weiteren Ebene spielt sich sein Umgang mit einem zugeflogenen Sperling ab: (Originaltitel Birdman). Stroud darf Käfige bauen, die Vögel brüten, er wird zu einem anerkannten Ornithologen. Auf einer dritten Ebene läuft sein Verhältnis zu seiner Mutter (Thelma Ritter) ab, die anfangs noch für seine Begnadigung kämpfte und sich aber schmollend zurückzieht, als er in Stella (Betty Field) eine herzensgute, aber auch geschäftstüchtige Frau findet. Ihr Abschied kann zu Tränen rühren. Vorschriften und Posten ändern sich bzw. werden neu besetzt, Strouds Privilegien werden eliminiert, er schreibt Bücher. Letztendlich landet er in Alcatraz. Hier rebellieren die Häftlinge. Seine Mutter will ihn lieber im Gefängnis sehen, denn als berühmten Vogelexperten, der verheiratet ist. Er wurde nie begnadigt.
    Der Strafvollzug steht hier ebenso auf dem Prüfstand, wie Gefühle in der Gefangenschaft. Die Vögel und Stroud teilen das gleiche Schicksal, beide wollen inzwischen kein anderes Leben mehr. Auch der freigelassene Spatz kommt wieder zurück. Was für ein grandioser Film. Die zwei ein halb Stunden vergehen wie im Flug.
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    26.11.2020
    19:27 Uhr
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    birdman

    intro: eine schwarze leinwand, der blick wird in vertikalen streifen freigegeben auf hände, die einen vogel umfangen, zart, behutsam – das hauptmotiv des films ist definiert:

    1912 wird robert stroud (burt lancaster) wegen mordes ins gefängnis von leavenworth überstellt: wie vieh sind die gefangenen im stickig-heißen zugabteil eingepfercht, rußschwaden verpesten die atemluft. stroud schlägt ein kleines fenster ein – ein zeichen der aufsässigkeit, die ihm die neun jahre haft "sehr lang" werden lassen soll, wie der gefängnisdirektor (karl malden) verspricht. und es kommt noch schlimmer: ein willkürlich untersagter besuch seiner mutter lässt bei dem häftling die sicherungen durchbrennen – er ersticht einen schikanösen wärter und wird daraufhin zum tode verurteilt. bittgesuche seiner mutter bei präsident wilson bringen zwar eine begnadigung auf eine lebenslange freiheitsstrafe – die muss er allerdings in einzelhaft verbringen. eines tages findet er im gefängnishof einen jungspatzen, der während eines gewittersturms aus dem nest gefallen war.

    und damit beginnt eine berührende geschichte, wie aus dem einsamen, rebellischen häftling durch hingabe, beobachtung und empathie nicht nur ein anerkannter vogelkundler – der "birdman" – wird, sondern auch ein mensch, der erstmals lernt, bitte und danke zu sagen, sich zu entschuldigen und letztlich den respekt und die achtung seiner mitmenschen gewinnt: hinreißend sind die szenen, wie er aus einer umgestülpten socke ein provisorisches nest bastelt, wie er aus einem zerquetschten käfer und eigenen essensresten einen futterbrei zusammenmischt, den er mit einem zündholz einflößt, wie er in monatelanger, mühevoller kleinarbeit aus einer alten obstkiste einen kunstvollen vogelkäfig herstellt, oder einen kleinen karren, mit dem der vogel kunststücke vorführt, wie er ihm das fliegen beibringt, ihn in die freiheit entlässt... und wie er mit den abgelegten kanarienvögeln der mitgefangenen (beispiel macht schule) eine eigene vogelzucht betreibt (wir dürfen beim schlüpfen eines kükens zusehen) und beim ausbruch einer bis dahin unheilbaren vogelkrankheit durch eifriges studium und unzählige versuche ein heilmittel zusammenbraut.

    doch damit endet strouds biografie noch nicht, der vogelmann wird von leavenworth nach alcatraz verlegt, wo er seinem ehemaligen widerpart in leavenworth (karl malden) wieder begegnet, in alter feindschaft und mit dem verlust aller früheren privilegien, insbesondere der vogelhaltung. ein gewalttätiger gefängnisaufstand in alcatraz rundet die geschichte ab – stroud als geradezu weiser alter mann hält ein eindrückliches plädoyer für würde und individualität im gefängnisalltag...

    fazit: ein klassischer alter hollywoodfilm in schwarz-weiß, mit wundervollem licht-und-schatten-spiel von gitterstäben und käfiggittern, einer herausragenden performance von burt lancaster, die mehrere jahrzehnte der handlung umfasst und wenig, aber punktgenau (etwa wenn stroud mit den vögeln spricht) eingesetzter musik von elmer bernstein. karl malden als gefängniswärter und telly savalas als zellennachbar spielen zwar keine besonders ausgefeilten charaktere, bilden aber einen interessanten supporting cast. fraglich ist allerdings, ob die geschichte nicht auch (oder vielleicht sogar besser) mit einer ehrlicheren charakterzeichnung des protagonisten funktioniert hätte – stroud, nach al capone der berühmteste insasse von alcatraz, soll den aussagen eines wärters (1948-51) zufolge ein "extrem schwieriger, verrückter insasse" gewesen sein, und "trotz seiner hohen intelligenz ein bösartiger killer und psychopath". nichts desto trotz ein film, der insbesondere durch die emotional berührenden sequenzen der vogelaufzucht unvergesslich bleiben wird.
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    14.05.2015
    22:29 Uhr