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75% Bewertung
  • Bewertung

    Murphy und Electra

    Gaspar Noé ist ein Provokateur. Er ist aber auch ein Meister seines Handwerks.
    Aus dem Beinahe-Porno, den ich befürchtet hatte, wurde dann doch ein visuelles Vergnügen mit viel Gefühl und genauso viel Liebe, wie der Titel des Films verspricht.
    Noé selbst rechtfertigt LOVE in einer Szene des Films, in der Murphy meint sein Ziel als Filmemacher ist es, irgendwann einen sentimentalen Film über Liebe und Sex zwischen Liebenden zu machen und es ist ihm gelungen. Die Nebengeräusche sind laut und explizit, trotzdem macht Noé eines klar, LOVE ist in erster Linie ein Liebesfilm, und zwar einer der Herzen bricht.
    Murphy und Electra sind wie alle Verliebten, verliebt für die Ewigkeit, bis die Liebe unter ihrem eigenen Gewicht zerbricht. Unrealistisch und trotzdem oder gerade deswegen so schön sind die Forderungen, die der liebeskranke Murphy an die Liebe stellt. Die Dreiecksgeschichte ist keine um des Dreiecks willen, sondern ein kurzes Kapitel in der Beziehung zwischen Murphy und Electra, das schwere Folgen hat. Trotzdem vermag sie nur kurz den Fokus von der eigentlichen Liebesgeschichte zwischen Electra und Murphy abzulenken.

    3D ist hier nicht unbedingt verschwendet. Mal abgesehen davon, dass Sex in 3D ganz lustig anzuschauen ist, experimentiert Noé viel mit den Perspektivenmöglichkeiten, die sich daraus ergeben und setzt den Effekt wirkungsvoll um. Auch abseits von 3D, ist der Film aber perfekt farblich abgestimmt, ästhetisch auf jeder Ebene und mit einer wunderschönen Filmmusik ausgestattet, die die schwere Sentimentalität des Films perfekt widerspiegelt.

    Alles in allem ein langes, intimes und wunderschönes Filmerlebnis, bei dem ich fast so viele Tränen vergossen habe, wie Murphy in diesem Film an Sperma.
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    07.01.2016
    21:57 Uhr
  • Bewertung

    Sensationsgieriger Beinahe-3D-Porno

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2015
    Gaspar Noé liebt die Provokation. Mit einer neunminütigen Vergewaltigungsszene im unglaublich intensiven „Irreversibel“ erwarb er sich den Ruf als Skandalregisseur. Mit dem wunderbar psychodelischen Drogen-Film „Enter the Void“ verstärkte er diesen und festigte zugleich auch seine Stellung als bedeutender zeitgenössischer Künstler. Nun ist Sex an der Reihe. Man ist fast geneigt dem Regisseur zu unterstellen, das nunmehrige Thema nur deshalb gewählt zu haben, um wieder zu provozieren. Das war auch in Cannes zu merken: Kritiker und Kritikerinnen strömten sensationsgierig ins Kino, nur um zu sehen, was der Herr Noé denn zu bieten hat. Der Film musste gesehen werden, um danach mitreden zu können. Und natürlich ist die Provokation aufgelegt: Minutenlange explizite Sexszenen balancieren am Rande zur Pornografie. Doch die Provokation mit Ansage gelingt in „Love“ nicht ganz. Da hilft auch die von Schimpfwörtern bestimmte Sprache der Protagonisten nichts. „Achso, ist ja nur Sex“, waren einige Reaktionen. Manch einen Noé-Fan mag der Film vielleicht sogar zu brav sein.

    Natürlich muss ein sensationsgieriger Film heutzutage in 3D sein. Dies bleibt aber über den gesamten Film hinweg künstlerisch unbedeutend und ein billiger Effekt. Seinen durchaus amüsanten Höhepunkt erreicht die Dreidimensionalität jedoch im wahrsten Sinne des Wortes als ein Penis aus der Leinwand hervorragt und in den Zuschauerraum ejakuliert. Auch wenn es sich hierbei vielleicht um einen der lustigsten Effekte der 3D-Filmgeschichte handelt, stellt sich die Frage, was Noé damit sagen will. Auch wenn die 08/15-Orgasmusgesichter teilweise anderes vermuten lassen, handelt es sich bei „Love“ aber natürlich nicht um Pornografie. Man sieht eben doch nur „fast“ alles. „Love“ zielt nicht auf eine affektive Wirkung auf das Publikum ab. Diese tritt auch zu keinem Zeitpunkt ein. Visuell sind die Sexszenen zweifelsohne grandios in Szene gesetzt. Das Spiel von Licht und Schatten, das Verschwinden von Körperteilen in tiefem Schwarz sind handwerklich toll umgesetzt. Dennoch wirken die Bilder vor allem außerhalb der Sexualität für Noé-Verhältnisse sehr ruhig, brav und standardisiert. Das Verrückte ist abhandengekommen.

    „Love“ ist auch eine Studie von in sich verschlungenen Körpern. Eine filmhistorisch nicht unbedeutende Auseinandersetzung mit Sexualität und Körperlichkeit, von der viele andere Filmschaffende zurückschrecken würden. Auch von Problematiken hinsichtlich von Genderinszenierung ist der Film weit entfernt, ja sogar ein durchaus positives Beispiel. Doch der Tabubruch Sexualität und die expliziten Bilder sind ohnehin nicht das Problem des Films. Vielmehr ist es das Gefühl, dass sich Noé zu sehr in die Sexszenen verliebt zu haben scheint. Vieles blieb auf der Strecke.

    So etwa die Story: Abseits von Sex hat der Film nur wenig zu bieten. Schockierend plump ist die simple Dreiecksgeschichte: Electra und Murphy sind scheinbar das perfekte Paar. Da sie ihr Sexualleben bereichern möchten, holen sie sich die hübsche blonde Nachbarin Omi für einen Dreier ins Bett. Doch Murphy schläft auch weiterhin mit ihr. Als er sie plötzlich schwängert, ist er in einer Beziehung mit Omi gefangen. Wehmütig trauert er den Tagen mit Electra hinterher. Diese Geschichte wird in Rückblenden erzählt. Gedanken schwirren in Form von Voice-Over durch den Raum. Doch im besten Sinne eines Kinos der Attraktionen fungiert die Story ohnehin nur als Überleitung zwischen den Sexszenen. Langeweile schleicht sich ein. Noé verabsäumt es an dieser Stelle seinen Charakteren Tiefe zu geben. Im Gegensatz zur visuellen Ebene bleiben sie zweidimensional. Ihre Handlungen wirken oft plump und willkürlich: Sie wollen Sex mit einem Hermaphroditen, weil sie es lustig finden. Also machen sie es auch. Sie wollen einen Swinger Club besuchen, um mit anderen Menschen ihre Sexualität auszuleben und ihre Beziehung zu retten. Also tun sie das. Danach gibt es Streit, da Murphy dort auch mit anderen Frauen geschlafen hat. Als Zuseher stellt man sich nur kopfschüttelnd die Frage, warum sie dann überhaupt dorthin gegangen sind?

    Immerhin kann man Noé Humor und Selbstreferenzialität nicht absprechen: Murphys Kind heißt Gaspar, Electras Ex-Freund hört auf den Namen Noé und wird auch von Noé selbst gespielt. Noch dazu wird auch immer wieder das Ziel des Films erläutert: Als ambitionierter junger Filmemacher bezeichnet Murphy Blut, Sperma und Tränen als Lebensessenz. Sein Traum ist es, einmal einen sentimentalen Porno zu drehen. Einen Film bei dem Emotionen durch Sex ausgedrückt werden. Denn Sex und Liebe seien immerhin die zwei schönsten Dinge im Leben, sie müssen auf der Leinwand vereint werden. Ähnliches hat unter anderem bereits auch Michael Winterbottom versucht. Auch wenn „9 Songs“ sicherlich kein Meisterwerk ist, ist hier das Element der Liebe wenigstens glaubhaft. In „Love“ sucht man diese jedoch vergeblich. Sie wirkt aufgesetzt und scheint nur zum Vorwand der Sexualität zu dienen. Die Sexszenen bleiben in der Handlung isoliert, beziehen sich nur auf sich selbst. Der Titel des Films könnte nicht sarkastischer sein.

    „Gut ist der Film nicht, aber man kann ihn gut vermarkten, er ist eine einfache Geldquelle. Die Leute wollen den Film sehen, egal ob gut oder nicht“, meinte ein Filmeinkäufer nach der Vorstellung in Cannes. Damit hat er wohl nicht ganz Unrecht. Auch wenn „Love“ vor allem auf visueller Ebene einige Höhepunkte aufweist, nervt die sensationslustige Herangehensweise Noés an das Thema auf Dauer. Da helfen auch einige humoristische Elemente nicht. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, wie humoristisch und grandios etwa vor kurzer Zeit Lars von Trier an des Thema Sexualität herangegangen ist. Es ist auf alle Fälle ein Film, über den man spricht. Ein Film, den man so schnell nicht vergessen wird und der einige gelungene Ansätze hat. Ob es jedoch ein guter Film ist, ist eine andere Frage. Reißerisch gesagt ist und bleibt es ein Beinahe-3D-Porno von Gaspar Noé.
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    09.06.2015
    09:34 Uhr