Der Sommer mit Mama

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Forumseintrag zu „Der Sommer mit Mama“ von patzwey

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patzwey (15.02.2015 02:49) Bewertung
Leichtfüßiges Sehvergnügen
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2015
Val ist Haushälterin in der Villa einer wohlhabenden Familie in Sao Paolo. Sie macht ihren Job ausgezeichnet und ist für den 17-jährigen Fabinho wie eine zweite Mutter. Oder besser gesagt seine Lieblingsmutter. Denn zur leiblichen - ihreszeichen Fashionikone - findet er nicht so wirklich einen Draht. Auch, wenn Val beinahe zur Familie gehört, herrschen Strenge Regeln für das Zusammenleben zwischen Dienstgebern und Angestellten. Val weiß einfach, was sich gehört. Die sozialen Klassen werden filmisch gekonnt über Raumbilder definiert. So macht es einen Unterschied, auf welcher Seite der Küche man sich aufhält. Der Pool ist sowieso tabu.

Doch natürlich braucht es auch einen Stein des Anstoßes, der die festgefahrenen Verhältnisse durcheinander bringt. In diesem Fall ist das Vals Tochter Jéssica, die sie selbst seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Ihr Ziel: Die Aufnahmeprüfung an der überaus renommierten FAU-Universität, um dort Architektur zu studieren. Natürlich versteht es sich von selbst, dass die Tochter der beliebten Haushälterin einige Tage bei der Familie leben darf. Doch Jéssica zieht nicht nur bloß ein, sie crasht wie ein Orkan in die biedere Villa. Ihre Anwesenheit macht die Hausherrin schnell überflüssig, was natürlich Konfliktpotential in sich birgt. Innerfamiliäre Konflikte sind vorprogrammiert. Dass Jéssica den Tisch der Familie benutzt und noch dazu in den für Angestellte verbotenen Pool springt sind Provokationen sondergleichen. „Man weiß von Geburt an, was man darf und was man nicht“, hält ihr Val daraufhin vor. Denn für Dienstboten gehört sich das nicht. Doch Jessica ist anders: Sie scheint von Geburt an zu wissen, dass es keine natürliche Zweiklassengesellschaft gibt. „Sie hat ein Selbstbewusstsein, als wäre sie der Präsident“, sagt man über sie. Ein ständiger Mutter-Tochter-Konflikt schwingt dabei ebenso mit, wie eine Neuverhandlung der vorherrschenden Klassengesellschaft Brasiliens.

Regisseurin Anna Muylaert schafft es, ein eine schöne Geschichte von Menschlichkeit und sozialer Ungerechtigkeit zu erzählen, ohne jemals anzuklagen oder mit gehobenen Zeigefinger zu agieren. Die Bildsprache ist dynamisch und voller Situationskomik. Die Liebenswerten Charaktere – allen voran die exzellent von Regina Casé gespielte Val – wachsen schnell ans Herz. Das sympatische Mienenspiel Vals sorgt für einige Schmunzler und viele Lacher. Ihr Charakter erinnert an die famose Gloria aus dem gleichnamigen chilenischen Film, die wie Val die Lust am Leben wiederfindet. Die ernsten Themen im Hintergrund geraten trotz der leichtfüßigen Inszenierung niemals in Vergessenheit. Klischees werden gekonnt ausgespart. Und wenn die endlich glücklich gewordene Val in der letzten Szene schelmisch lächelnd an ihrem Kaffee nippt, wird schlagartig klar, dass man soeben einen wunderschönen Film gesehen hat, indem die zahlreichen Probleme der Protagonisten, es zu keiner Zeit geschafft haben, das Sehvergnügen zu mindern.
 
 

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