Jauja

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Filmgenuss (12.03.2023 16:47) Bewertung
Verloren in der Pampa
Ein Ex-Häftling irrt wortlos durch den Dschungel, auf der Suche nach seiner Tochter. Das ist ein Film des Argentiniers Lisandro Alonso aus dem Jahre 2004, mit dem ernüchternden Titel Los Muertos – Die Toten. Zehn Jahre später hat der eigenwillige Filmemacher, dessen Stil ganz sicher nicht den Mainstream bedient, ein Drama ähnlichen Inhalts gedreht. Allerdings prominent besetzt. Viggo Mortensen nämlich spielt Gunnar Dinesen, einen dänischen Ingenieur Ende des 19. Jahrhunderts, der in Argentinien auf Seiten Kolonial-Spaniens gegen die aufständische indigene Bevölkerung kämpft. Mit auf dem fernen Kontinent weilt seine Teenager-Tochter Ingeborg, die den Einheimischen schöne Augen macht und gar vorhat, mit einem der jungen Soldaten durchzubrennen. Vater Mortensen sieht sowas gar nicht gern, er will seine Tochter beschützen – vor ihrem eigenen Willen und vor den lüsternen Augen der anderen. Doch die Jugend hat nun mal ihren eigenen Kopf und so kommt es, dass sich Ingeborg tatsächlich irgendwann des Nächtens aus dem Staub macht. Gunnar Dinesen hinterher, zuerst noch auf dem Pferd, dann nur noch zu Fuß, und irgendwann verschlingt ihn die Pampa, das steppenhafte Hinterland Argentiniens, in dessen Weite man das Gefühl für Zeit und Raum verliert, wo Orientierung nur dem Namen nach existiert und nicht nur Vergangenheit und Zukunft, sondern auch alternative Universen einander überlappen. Aus dem streng komponierten Historiendrama wird ein metaphysisches Vexierspiel rund um Verwirrung und dem Zulassen seltsamer Begebenheiten.

Wenn man schon einen Filmemacher mit dem unverwechselbaren thailändischen Film-Visionär Apichatpong Weerasethakul (u. a. Memoria) vergleichen könnte, dann nur zu Recht Lisandro Alonso. Wie Weerasethakul Zeit und Raum auf lakonische und geheimnisvolle Weise aushebelt, ohne angestrengtes Effektgewitter zu bemühen, so weiß Alonso ebenso, das Unmögliche in eine nüchterne, völlig pragmatische Realität zu setzen. Wie eine Tatsache, die nicht ergründet werden, sondern nur akzeptiert werden darf. Dabei fordert Jauja – die Bezeichnung für ein Land, in dem Milch und Honig fließt, ähnlich dem Paradies oder einer Art Schlaraffenland – bereits zu Beginn eine gewisse Bereitschaft von seinem Publikum ein, seine unorthodoxe Erzählweise zu akzeptieren. Im Format 4:3 und mit abgerundeten Ecken sehen wir geradezu unbewegliche Landschaftstableaus irgendwo an der Küste Argentiniens. Naturalistische Details rücken in den Fokus, dann wieder uniformierte Männer, deren fixierte Blicke wohl auf das junge Mädchen gerichtet sind, die mit ihrem Vater stoisch verharrt. In der Ruhe findet sich eine gewisse erzählerische Tiefe, die allerdings Geduld erfordert; eine meditative Gelassenheit, wenn sie nicht als sperrig gelten will, was durchaus leicht passieren kann. Mortensen lässt sich fast intuitiv und assoziativ treiben, er scheint zu improvisieren, lässt sich fallen in diese seltsame Odyssee, in die er später verloren geht, auf der Suche nach seinem Kind, jenseits des Rationalen.

Alonso hat seine ganz eigenen Visionen und ist ein Filmemacher, der alle Freiheiten zu genießen scheint. Filmkunst ist hier das höchste Gut, Anbiederung an breit gefächerte Sehgewohnheiten verachtenswert. Wie Weerasethakul lädt er nur jene zu seinem Film ein, die willens sind, sich genauso treiben zu lassen wie Mortensen. Was sie bekommen, ist ein indirekt phantastischer Film im Gewand eines südamerikanischen Westerns, in welchem das Mysterium des Verschwindens in der Weite dieser Welt zur Attraktion wird.


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